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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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die Gischt an die Kribben, in weiten Schwüngen verliefen sich die Wellen im Sand, wo sie ihre vergänglichen Bögen zeichneten, dat malt dä Vater Rhein, hatte uns der Großvater erklärt.
    Möwen kreischten dem Schiff hinterher, schwammen eine Weile auf den Wellenkämmen mit. Federico blieb noch einmal stehen, zog ein Taschentuch aus der Jacke, hielt es mir hin, zeigte auf mein Gesicht: Da, sagte er und machte eine wischende Bewegung. Beschämt rieb ich mir die Farbe vom Mund. Mit großartiger Geste führte Federico das verschmierte Tuch an die Lippen und drückte einen Kuß darauf. Vor dem Schilf, bei den Weiden, aus denen es nun wisperte wie in einem Zauberwald, trennten wir uns. Bevor ich ins Bett schlüpfte, strich ich dem Mann im Silberpapier übers Haar.
    Federico, schrieb ich, den Blick auf den blauseidenen Friedrich gerichtet. Ich schmückte ihn wieder mit wilden Blumen und steckte eine Feder, schwarz mit weißen und blauen Streifen, die Federico in den Rheinwiesen aufgelesen hatte, hinter das kühn geschwungene Halbprofil. Federico, schrieb ich, nun bist du gekommen. Ich ging am Rheine so für mich hin, da bist du gekommen in meinen Sinn. Da standest du vor mir so morgenschön, da mußte ich einfach mit dir gehn.
    Wir lasen in der Schule Gedichte von Goethe. Verglichen mit den Strophenbauten des Freundes hatte ich dessen Liedchen ärmlich gefunden. Beinah wäre es darüber zu einem ernsthaften Streit mit Doris gekommen. Jetzt verstand ich sie. Von menschlichen Gefühlen wußte Goethe mehr, aber ihm fehlten Dramatik und der lange Atem.
    Ich kaufte mir ein dickes Heft. Auf den festen Einband schrieb ich: >Briefe als Gedichte. An F.< Das >F< bemalt und umkringelt,als ersticke es unter einer Geschwulst. Ich erwog, den Altar vom Nachttisch in den Holzstall zu transportieren, doch der Bruder war schon bis zum Herbst bezahlt. Aber Schillers Bild nahm ich mit, ohne sein Gesicht fiel mir nichts ein. Ich schrieb das erste Gedicht am Montag, ich schrieb Gedichte an jedem folgenden Wochentag. Je näher der Sonntag heranrückte, desto länger und verworrener wurden sie. Es ging um heimliche Liebe, Verrat und Kampf, einen Kamm und eine tote Mutter in fernem Land. Alle Bösen waren häßlich, alle Guten siegreich und schön. Wie bei meinem Friedrich. Fand ich kein Reimwort, nahm ich ein ähnliches, tauschte einfach die Vokale aus und machte, wie zu Kinderzeiten, aus der >Tante< wieder >Tinte<.
    Am Samstag strömte der Regen. Ich saß vor Friedrichs Bild im Holzschuppen, füllte >Briefe als Gedichte< Strophe um Strophe, besessen von der Idee, schriebe ich nur lange genug, würde der Regen aufhören. Als das Gedichteheft voll war, schrieb ich im Deutsch-, im Englisch-, Französisch-, Erdkunde-, Geschichts-, Biologieheft weiter. Zuletzt blieb nur noch das Mathematikheft. Auf dem karierten Papier kriegte ich doppelt soviel unter wie auf Linien. Als ich kein freies Fleckchen mehr auftreiben konnte, verlegte ich mich aufs Beten. Doch in meinem Kopf randalierte die Reimmaschine. Ich brachte kaum noch ein >Vater unser< zusammen. Die Reime sprangen einander nach wie Lemminge in den Abgrund.
    Am nächsten Morgen schien die Sonne, aber es war unbeständig. Ich zog meine Strickjacke an, falsch herum, die Knöpfe nach hinten, modern. Blau war sie, azzurro, wie der Anzug des Freundes. Diesmal kam er später als ich, ein schmales, behendes Himmelsstück im satten Grün der Wiesen. Er überschüttete mich mit einem Wortschwall und klopfte dabei mit seinem dunkelran- digen, rissigen Zeigefingernagel auf das Zifferblatt seiner klobigen Armbanduhr. Der Wind hatte sich gelegt, die Sonne stach, die Strickjacke kratzte. Ich öffnete die oberen Knöpfe, streckte meinen Kopf den ersten Bürstenstrichen entgegen und überließ mich wieder der italienischen Erfindung. Als ich aus meinem entrückten Halbschlaf heraufdämmerte, lag die Jacke in meinem Schoß. Federico kniete vor mir wie vor einem Heiligenbild. Ich rührte mich nicht. Ein leichter Wind bewegte die Weide, ihre ge-lenkigen Zweige strichen mir über Haar und Haut. Ich spürte Federicos Augen wie eine Berührung. Unmerklich rutschte er auf den Knien näher, bis ich seinen Veilchenatem roch. Eine Haarsträhne verhakte sich im Weidenzweig und hüpfte auf meiner Brust wie eine Kinderpeitsche. Federico glitt auf die Fersen, sein Mund, auf der Höhe meiner rechten Brust, formte sich zu einem o wie in >Rose< oder >Wort<. In kurzen, kühlen Stößen schlug sein duftender Atem auf meine Haut.

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