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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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dem verunglückten Akkordeonspiel zugesteckt hatte. Von den seidigen Schals und Nickytüchern unter der Glasplatte, den Agraffen und Spangen, den künstlichen Ansteckblumen, den romantischen langen Federn, die aus golden glänzenden Broschen wuchsen, konnte ich die Augen kaum abwenden.
    Einen Büstenhalter, stieß ich hervor.
    Für dich, mein Kind? fragte Alma Mader und kniff die Augen zusammen. Das Kind hätte mich fast zu einem trotzigen Auf- unddavon getrieben, aber mein Wunsch war stärker. Ich nickte und legte die Hand aufs Lederherz. Dann wollen wir mal sehen. Behender, als man es ihrer gepanzerten Körperfülle zugetraut hätte, schlüpfte sie hinter der Glastheke hervor, langte mit ihrer molligen Hand unter meine rechte Brust und bewegte sie auf und ab, wie der Metzger, wenn er der Mutter ein Stück Suppenfleisch zeigte. Nicht mal Dr. Mickel hatte mich jemals so angefaßt. Alma kicherte: Ja, ich muß doch wissen, welches Körbchen das richtige ist. Und weh tut das doch auch nicht. Lachend, wie über einen guten Witz, stieg sie auf eine Trittleiter und kramte zwischen den Kartons, bis unter die Decke gestapelt. Wie eine Birne an zwei Stielen sah sie von unten aus, mit ihrem massigen Hintern, dem sich verjüngenden Rumpf und dem kaum vom Nacken getrennten, tadellos frisierten, aber zu kleinen Kopf. Sie hatte schon eine Weile in den Kästen herumgestochert, als ein Karton aus der obersten Ecke verrutschte, den Deckel verlor und sein Inhalt nach unten torkelte. Alma Mader quiekte, zog die Schultern an die Ohren, als fürchte sie weiteres Gepolter, und holperte vom Hocker. Ich wollte ihr beim Aufheben helfen, helfen, die sonderbaren Gebilde von den blankgewichsten Dielen,auf denen die Füße ungeduldiger Käuferinnen manche Spuren hinterlassen hatten, wieder in den Karton zu verstauen. Doch die Büstenhalter lagen nicht einfach da, sondern gerieten, zerrte man an einem der Träger oder einem Seitenteil, in eine merkwürdige, beinah hüpfende Bewegung, als ziehe man das Tafel- schwämmchen an seiner Kordel heran.
    Das ist nichts für dich, Kind! Alma Mader beeilte sich, all das Hügelige, Bucklige, uneben Gewölbte zusammenzuscharren und in den Karton zurückzustopfen, ganz entgegen der peniblen Sorgfalt, mit der sie gewöhnlich ihre intimen Artikel behandelte. Aber ich hatte schon eine dieser Schaumstoffmonturen ergriffen, hatte durch den schlüpfrigen Satinüberzug hindurch schon die Nachformung einer Brustwarze in meiner Handfläche gespürt, mein entsetztes Begreifen war von den Fingerspitzen schon ins Hirn gelangt. Ich schleuderte das Ding zu Boden, erregt sprang die Brust ein wenig hoch, eh sie liegenblieb, die leere Hälfte mit sich ziehend, schrumpelig wie ein Ballon ohne Luft.
    Alma pickte die Prothese vogelschnell auf und drückte sie zu den anderen in den Karton. Ich schnappte mein rotes Lederherz und sah, eh ich die Tür hinter mir zuschlug, die seidenglitzernde Gummiwarze, keck eingeklemmt zwischen Deckel und Schachtelrand.
    Marias abgelegte Pullover zog ich nie wieder an, versteckte sie unterm Brennholz und warf sie im Herbst ins Kartoffelfeuer.
    Gelegentlich schrieb ich wieder an Friedrich. Über große Dinge, über Freiheit, Schönheit, Gut und Böse ließ sich ausgiebig mit ihm reden. Doch wenn ich etwas genau wissen wollte, war er mit Antworten ebenso sparsam wie der liebe Gott. Warum Heribert hatte Maria sitzenlassen, obwohl sie so krank war und ihn mehr denn je brauchte, konnte er mir nicht erklären. In meinen Büchern schmiedete Unglück die Liebenden zusammen, Krankheit vertiefte und veredelte ihre Gefühle, besonders die des Gesunden. Nichts davon bei Heribert. Keines der Bücher wußte den Grund, aber die Mutter: Sujet, sagte sie und ruckte an ihrer rechten Brust, es enem Mann nit zozemode [53] . Es war Sommer und Sonntag, Dondorf in Ruhe und Wärme verklärt, ich machte mich auf den Weg an den Rhein. In den Anlagen traf ich auf Helmi, Birgit, Gretel und Sigrid aus der Volksschule, die sich hier bei den Trauerweiden gegenseitig die Lippen anmalten und einander in verrutschten Kreisen Farbe auf die Wangen rieben. Helmi war schon fertig und sah aus, als hätte sie die Schwindsucht. Lurt ens, kreischte sie, do kütt jo dat Heldejaad. Janz alleen! Wells de met jonn? und winkte mich heran. Sigrid erkannte ich kaum wieder. Ihr glattes, schwarzes Haar, zu einer Dauerwelle gekräuselt, lag ihr wie ein Mop auf dem Kopf. Sie trug ein feuerrotes Kleid mit einem gerüschten Ausschnitt, und ihre

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