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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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richteten ihr die Frauen ein kleines Abschiedsfest aus. Dunja wollte zurück in ihre Heimat, nach Jugoslawien. Und das nicht allein. Bei selbstgemachtem Paprikasalat, Frikadellen und hartgekochten Eiern, dazu Rotwein aus Literflaschen mit Schraubverschluß, erfuhr ich ihre Geschichte. Sogar Sekt gab es, für jede einen >wönzigen Schlock<. Wir tranken aus unseren derben, meist henkellosen Tassen oder dem Verschluß der Thermoskannen. Andächtig spürte ich dem Prickeln auf der Zunge nach, bis es schal wurde, muffig, und ich hastig mit Wasser nachspülte.
    Dunja war nicht mehr jung, ein wenig zu hager, aber mit lustigfunkelnden Augen im braunen, ovalen Gesicht. Konnte sie jemandem helfen, blühte sie auf. Nur ihr Häuschen habe sie im Kopf gehabt, hieß es, ein Häuschen auf dem Grundstück ihres Onkels bei Rijeka, für ihre Eltern und für sich und ihre Familie.
    Dieses Haus war für Dunja ein Nistkasten. Dunja glaubte an das Miteinander von Glück, Mann, Ehe und Familie. In Deutschland gab es das für sie nicht. Aber in ihrer Heimat, in Drebozyce, war alles anders. War erst das Häuschen da, kam auch der Mann. Das Glück. Vroni, die sie am längsten kannte, beteuerte immer wieder, Dunja habe sich nichts, aber auch gar nichts aus Männern gemacht, geradezu blind sei sie auf beiden Augen gewesen. Doch dann hatte zuerst gelegentlich, zuletzt beinahe täglich ein Landsmann am Werkstor gestanden. Immer in Schlips und Kragen, obwohl er angeblich im Lager arbeitete. Dä Jong, nannten die Frauen den sehr viel jüngeren Mann, was Dunja nicht gern hörte.
    Immer wieder hatte sie erzählen müssen, wie sie ihn kennengelernt hatte. Neben ihrer Arbeit in der Fabrik ging Dunja putzen und kellnern, samstags und sonntags in der >Schäl Eck<. Dort sei der Verehrer eines Abends mit ein paar Freunden erschienen, alles Landsleute. Zuerst habe er nur ein Bier bestellt, dann ein Bier mit einer Frikadelle und dann noch eine und noch eine, Fräulein, eine Frikadelle, habe er jedesmal laut durch den Raum gerufen, und seine Freunde hätten immer lauter gelacht. Elf Stück habe sie gezählt, und bei jeder Frikadelle habe er zärtlicher geblickt. Bis vor ihre Unterkunft habe er sie begleitet, ihr den Arm gereicht wie einer Dame. An der Tür habe er ihr mit einer Verbeugung und einem Handkuß, das sei bei ihnen zu Hause nichts Besonderes, Gute Nacht gesagt.
    Auf der Abschiedsfeier zeigte mir Dunja ein Foto. In einem etwas zu engen Anzug, Standbein und Spielbein locker gekreuzt, den Daumen der linken Hand in den Westenärmel geklemmt, die rechte lässig in die Hüfte gestemmt, lehnte er unter den melancholisch herabhängenden Zweigen am Stamm einer Trauerweide. Schöne Zähne, eine kurze, etwas breite Nase, seine Augen verborgen unter einer ungewöhnlich breiten Hutkrempe. Jetzt war er vorausgefahren, um in Drebozyce Architekten und Maurer zu besorgen und das Aufgebot zu bestellen. Sobald

Dunja komme, werde man heiraten. Und feiern. Ein Fest, so wie damals bei der Hochzeit des Bürgermeisters, als das ganze Dorf tagelang gezecht und gefressen hatte. Dunja strahlte. Wir strahlten mit. Hier hatte eine beides gefunden, den Mann und das Glück, wenn auch im fernen Jugoslawien, worunter wir uns nichts Rechtes vorstellen konnten. Dunja versprach, sofort eine Postkarte zu schicken. Soviel blauer als in Italien, Spanien oder Griechenland sei der Himmel bei ihr zu Hause.
    Wenn wir um neun Uhr fünf unsere Klappbrote verschlangen, malten wir uns in den nächsten Tagen aus, was Dunja in diesem Augenblick unter ihrem blauen Himmel gerade tat. Stand sie bei der Schneiderin in weißem Taft, von silbernen Nadeln umschwirrt, saß sie beim Friseur und probierte Frisuren aus, Brautfrisuren für ihr dichtes, schwarzes Haar, hochstecken wollte sie es, hatte sie uns gesagt, auch wenn sie das älter machte. Oder schritt sie mit dem Jungen den Grundriß des Neubaus ab, ihres künftigen Heims. Wie hübsch hatte Dunja ausgesehen, als sie nach der Feier, die leere, große Schüssel unterm Arm, den Beutel mit ihren Habseligkeiten über der Schulter, in ihrem gelben, mit roten Rosen bedruckten Baumwollkleid durchs Werkstor mehr getanzt als gegangen war, zur letzten Nacht in der Baracke.
    Drei Tage nach Dunjas Abreise betraten zwei Männer in Anzügen die Halle. Der Meister platzte aus seinem Glasverhau und ruckte nervös am Krawattenknoten. Die in den Anzügen grüßten den dienernden Mann kurz und wechselten ein paar Worte mit ihm. Herr Melzer verzog sich in seinen

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