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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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brachte uns zusammen. Auch daß die Frauen ihn gern hänselten, nahm mich für ihn ein. Sie quälten ihn mit ihrer Koketterie, der er hilflos ausgeliefert war, zeigten ihm ihre Beine weit den Oberschenkel hinauf und fragten ihn, ob die Strumpfnähte säßen, oder preßten seine Hand auf ihre Brüste und kicherten, er solle zählen, wie schnell ihr Herz klopfe, das habe er doch studiert. Ich ahnte, daß sie ihm etwas heimzahlten, was andere seines Geschlechts ihnen angetanhatten, an denen Rache zu nehmen sie nicht wagten. Mit Argusaugen beobachteten sie, was sich zwischen Georg und mir entwickelte. Was er mir erzähle, wollten sie wissen. Höhere Mathematik, erwiderte ich. Höhere Mathematik, wieherten die Frauen schenkelklopfend, räts eröm un links eröm un verkehrt eröm. Hat er denn auch schon bis hundertfünfundsiebzig gezählt? Ich ließ die Frauen reden. Was sie nur immer wieder mit dieser Zahl hatten!
    Am Freitag bekam ich meine erste Lohntüte, einen Abschlag. Tags darauf fuhr ich nach Großenfeld zu Salamander und kaufte mir meine ersten Pomps, schneeweiß, spitz, mit Riemchen über dem Knöchel und Absätzen, geschwungen wie die Henkel an den Tassen vom Blumenservice. Perlonstrümpfe, einen Strumpfhalter und meinen ersten Büstenhalter, alles Sonderangebote, Ladenhüter wegen der kleinen Größe. An der Buchhandlung lief ich vorbei.
    Nachmittags gab ich acht, daß die Mutter mindestens ein halbes Päckchen Stärke, und zwar die mit dem Kätzchen, ins Spülwasser für den Petticoat rührte. Hanni hatte mir aus einem alten Bettlaken einen Halbrock genäht, die drei stabilen Stufen sogar mit Spitzen gesäumt. Gestärkt und in den Falten der Rüschen glatt auseinandergebügelt, übertraf sein Wippen jeden Tüllrock.
    Zu Doris nach Dodenrath wolle ich fahren, erzählte ich der Mutter. Es wurde immer einfacher, ihr irgend etwas aufzutischen, solange ich vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause war.
    Ich zog die Perlonstrümpfe an und wieder aus; der brettharte Unterrock würde sie zerreißen. Stöckelte auf den Pömps ein paarmal vor dem Spiegel der Frisierkommode auf und ab, streckte den Unterkörper nach hinten, die Brust raus, fiel ins Hohlkreuz, fiel in den Frauengang, den Lockgang, den Reizgang, aufrecht, erregend, erregt. Im Sack der Oberpostdirektion hatte ich gerade ein neues Kleid gefunden. Diese Säcke kamen aus Möhlerath und nahmen den Umweg über Fräulein Kaasen. Die Sachen darin hatte man noch nie auf anderen Körpern gesehen, und sie waren vornehm, kein Vergleich mit den Kleidern der Cousinen. Fast so vornehm wie Fräulein Kaasen. Diesmal war es ein Taftkleid mit Schößchentaille, angeschnittener Pelerine und einer Dreiviertelglocke, grün wie meine neue Seife, Palmolive,und ich stellte mir vor, das fremde Mädchen sei darin zur Tanzstunde gegangen.
    Mein Haar hatte ich in einem kühnen Schwung nach rechts gekämmt und zu einem Zopf geflochten. Wenn ich die Augen zu Schlitzen auseinanderzog und die Lippen aufwarf, sah ich wie Marina Vlady aus. Fahrgeld, ein Taschentuch und einen halben Kamm stopfte ich in meinen Kommunionbeutel, für eine Handtasche hatte der Abschlag nicht mehr gereicht. Aber der Beutel war weiß wie die Schuhe. Hut, Schuhe und Handtasche mußten unbedingt zusammenpassen, so stand es in der >Praline<, auf die Lore Frings abonniert war.
    Georg löste sich mit einer lässigen Hüftbewegung vom Laternenpfahl, als der Bus die Türen öffnete, und ich flog die Stufen der Kutsche hinab, die der alte Graf mir gesandt hatte, damit sein Sohn mich empfange. Georgs Anzug war auf eine merkwürdige Weise kariert, Glenscheck, erfuhr ich später. Auf der senfgelben Krawatte steckte eine Nadel, ein überlang gestreckter Fuchs, im fein modellierten Maul ein Hasenkopf.
    Die Nadel ist von meinem Vater, erklärte Georg - aha, Krawattennadel nannte man das -, ich habe ihn nie gesehen. Er ist kurz nach meiner Geburt vor Tobruk gefallen.
    Georgs Stimme war männlich und weich zugleich und ohne den Ton, der mich bei Männern, gleich welchen Alters, sofort in Habtachtstellung gehen ließ. Zu Hause warte Kaffee und Kuchen, dann wolle er mir Schloß und Park zeigen.
    Müssen wir wirklich zu deiner Mutter, brachte ich mühsam hervor.
    Georg sah mich erstaunt an: Doch nur auf ein paar Minuten. Die alte Frau hat ja nur mich. Er legte seine Hände auf meine Schultern. Keine Angst, meine Mutter freut sich auf dich.
    Das Haus lag am Ende einer Straße, die auf einen Teich zulief. Der Platz war von alten Linden

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