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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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sie beichtete. Wie sie am Anfang ihr Glück nicht habe glauben können. Branko so jung und so schön und sie eine Frau ohne Kindsbauch. Er habe aber gesagt, er wolle keine Kinder, er wolle nur sie. Den Nacken habe er ihr massiert, bis sie ganz locker geworden wäre und weich in den Schultern und überall. Dunjas Züge verschmolzen mit ihrer Geschichte, ihr Gesicht ein einziger Spiegel vergangenen Glücks. Ich mußtekaum hinhören auf das, was sie aus der Erinnerung heraufholte. Nur anschaun mußte ich sie.
    Es dämmerte schon, als Dunja endlich in ihrem Heimatdorf angekommen war und die Hände vors Gesicht schlug.
    Dunja, sagte ich und berührte ihren Arm, Dunja, was willst du nun tun? Was hast du vor?
    Daß Maternus sie nicht wieder einstellen würde, wußte sie. Sie zuckte die Achseln: Mann weg, Geld weg, Arbeit weg. Schlimm. Aber mehr schlimm: Liebe weg. Morgen weg.
    Dunja, sagte ich. Du bist doch katholisch.
    Dunja sah mich verständnislos an. Ja, sagte sie.
    Hast du, ich stockte. Kam mein Vorschlag zu früh? Gab es nicht noch andere Möglichkeiten? Doch ein Blick auf die gequälte Gestalt in dem zerknautschten Polster ermutigte mich: Dunja war nicht mehr jung. Ihre Heiratschancen gleich null. Hast du schon einmal daran gedacht, in ein Kloster zu gehen?
    Dunja verzog das Gesicht, als hätte ich sie geschlagen.
    Daher du gekommen? Mir zu sagen, ich alte Frau! Ich alte Frau! Du nix verstehen. Nix, nix, nix! Dunja war aufgesprungen. Ich auch. Dunja stand vor mir, die rechte Hand zur Faust geballt, zur Zimmerdecke gestreckt. Dunja war jetzt wieder groß, größer als je in der Fabrik.
    Nix, nix, nix, schrie sie in einem fort und rüttelte beide Fäuste gegen die Decke. Warf sich, mit dem Gesicht voran, in den Sessel zurück. Ich stürzte zur Tür. Ins Freie. Hintern Hühnerstall.
    Bei meinen Leuten von Seldwyla füllte ich mich an mit erlesenen Männern und Frauen, Kindern und Greisen, Häusern und Gärten, Tieren und Pflanzen. Alles war sicher, das Glück so gut wie das Leid, selbst der Tod kam daher auf geraden Zeilen. Alles Leben begann mit dem ersten Satz und endete mit dem letzten. Und dazwischen ging ich, Leserin, Geschöpf, Hand in Hand mit dem Schreiber, dem Schöpfer, durch unsere Welt. Genoß die Wonne der Auflösung des engen, begrenzten Ichs in das buchstäbliche Leben; die mit nichts zu vergleichende Wollust, Schöpfer zu sein und Geschöpf zugleich. Ich war sie alle an diesem Sonntag, wählte Schicksale aus und streifte sie über wie Kleider. Kleider machen Leute. Bücher auch.
    Ich war mit der Sonne um den Hühnerstall herumgewandertbis an den Birnbaum, als die Mutter herbeilief, neben ihr Lore Frings. Dunja sei weg. Keine Nachricht, nichts mitgenommen, nicht mal die Zahnbürste. Ob ich etwas wisse. Die beiden Frauen waren aufgetaucht wie Figuren aus einer ungebetenen Geschichte. Dunjas Geschichte war falsch gelaufen. Und keiner konnte sie anders schreiben, neu schreiben, umschreiben. Schön und richtig.
    Jlaubs de, et tut sisch wat an? fragte Lore. Ich fühlte mich ertappt. Aus Angst vor dieser Frage hatte ich mich seit gestern in Seldwyla verkrochen.
    Ja, sagte ich, ich fürchte, ja. Dunja war gestern sehr aufgeregt. Aber gesagt hat sie nichts. Wir sollten zur Polizei gehen.
    Dunja blieb verschwunden. Hans Mütz, so die »Rheinische Post<, die um sachdienliche Hinweise gebeten hatte, wollte sie am Rhein gesehen haben. Da, wo an der Rhenania der Strom in eine breite, gemächliche Kurve schwang, pflegte Mütz an Sonn- und Feiertagen mit seiner Dauerverlobten ein Erlengebüsch aufzusuchen.
    Das Wochenende verging in drückender Schwüle. Ich las die Geschichte von »Romeo und Julia auf dem Dorfe< nun schon zum dritten Mal. Sprach die Dialoge laut und mit Gefühl, änderte sie auch gelegentlich und spielte mein eigenes Stück. Immer mit gutem Ende.
    An den Rhein zu gehen, wagte ich nicht. Allzu wirklich war, was mir dort begegnen könnte. Hinter dem Hühnerstall führte ich mit Dunja lange Gespräche, redete mir Gewissensbisse und Angst aus dem Leib, redete in ihr versteinertes Gesicht und mußte mir doch am Ende die Ohren zuhalten und aufspringen, wenn sie mir ihr Nix! Nix! Nix! entgegengellte.
    Montags fing die Schule wieder an. Um den Kasten mit der >Bildzeitung< an der Straßenbahnhaltestelle drängten sich die Käufer. Es stand auf Seite drei, Lokales. Am Sonntagmorgen hatte man Dunjas Leiche an der Biegung des Stromes entdeckt. Die Taschen ihrer Popelinejacke waren mit Steinen vom Rhein

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