Das verborgene Wort
scharlachroten Flecken am ganzen Körper.
Doris wartete auf meinen Bericht. Kichernd gestand sie mir, wie sehr sie sich anfangs vor der dicken Zunge Roberts geekelt habe. Ich wagte nicht zu fragen. Zungen kamen in meinen Büchern nicht vor. Beim Küssen lag man sich in den Armen. Basta. Bei unbezähmbarer Leidenschaft preßte man die Lippen aufeinander: heftig, stürmisch, ungestüm, heiß, wild, roh. Innig. Mir genügte das. Doris würde es genau wissen wollen. Mit einem Heimweg Hand in Hand und sonst nichts konnte ich ihr nicht kommen. Sie würde mir nicht glauben, daß wir es bei Tischtennis und Billard bewenden ließen. Der Raum war nun endlich eingerichtet, und wir trafen uns dort ein-, zweimal in der Woche. Sigismunds Mutter hatte ein Ohr auf uns. Wenn sie das Pingpong der Bälle eine Weile nicht hörte, kam sie hinunter und prüfte, ob einer der Tische zwischen uns stand. Mitunter schenkte Sigismund mir eine Kunstpostkarte, die er doppelt hatte. Picassos Akrobat mit Kugel< oder Chagall. Besonders Chagall: einen Fiedler, ein schwebendes Brautpaar, ein Schwein, das die Welt hinterm Trog sonderbar traurig und listig betrachtete.
Doris würde das nicht beeindrucken. Sie hatte keinen Tag gezögert, dem Beispiel Eddas zu folgen, die sich ein V in den Handrücken geritzt hatte. Mit dem Linolschneider. V für Volker. Wir waren erschüttert. Doris schnitt ein R in ihren linken Oberarm, Gisela ein N, Petra ein O, alle schnitten und schnipselten ansich herum, keine wollte zugeben, ohne Freund zu sein. Nur Karin Schmolle mit der zugenähten Hasenscharte und ich waren noch unversehrt. Eddas Handrücken begann bald anzuschwellen, Blutvergiftung, und Volker spendierte schon kurz darauf, die Wunde eiterte noch, das Eis in der Milchbar einer anderen. Die Narbe verblaßte nur langsam und verschwand nie. Auch Doris' Narbe entzündete sich. Sie war stolz darauf. Entweder, hielt sie mir vor, deinen Sigismund gibt es nicht, oder du liebst ihn nicht. Da schnitt ich auch. Nicht für Sigismund. Für Doris. Für ihre Freundschaft. Ich schnitt nicht tief, aber groß. Auf der Innenseite meines linken Oberschenkels würde man es nicht bemerken. Doris fand diese Stelle besonders raffiniert. Ob Sigismund die Wunde schon geküßt habe, wollte sie wissen, so wie ihr Robert, der ganz außer sich gewesen sei. Was blieb mir übrig! Während ich mich nach der Liebestat hinter dem Tischtennistisch herumquälte und Sigismund fand, ich sei noch lahmer als gewöhnlich, log ich für Doris die kühnsten Küsse, die heißesten Eide vom Himmel herunter. Das, worauf es ihr ankam, ließ ich im Vagen. Verlor mich statt dessen in schwülen Beschreibungen von Orten der Begegnung, in romantisch-schwülstigen Darstellungen der Witterungsbedingungen und Tageszeiten und bediente mich aus den grünen Lederbänden. Wie ein heißes Siegel habe er seine Lippen auf die meinen gedrückt, gestand ich, bleich vor Erregung sei er gewesen, und dann habe ich ihn unter meinem warmen, fiebernden Frauenleibe begraben. Jawohl. Ich erzählte von dem köstlichen Duft einer Liebesstunde, von blanken, begehrenden Blicken, wildem Blut und feinen Nerven, einer Nacht, so schwarz und lau, ein leichtes Wehen habe den Hauch nebliger Wiesen und großer tauiger Flächen herübergebracht, aus dem Schilf habe der einsame Ruf eines Wasservogels getönt. Wie der Ton meiner Seele sei das gewesen, sagte ich. Doris seufzte und drückte mir die Hand. Dumpf und duftschwer sei die Finsternis gewesen, und ich hätte meine Arme voller Verlangen in die Dunkelheit gestreckt. Der Mond sei aufgestiegen über den Pappeln und habe ihre Schatten tintenschwarz auf den Strom geworfen. Weiße Blumen hätte ich in beiden Händen gehalten und einen Kranz von Margeriten in meinem Haar. Meine Hände habe ich ihm gegeben, kühl und taufeucht, und er habe sie an seine Lippengezogen und meinen Namen ein paarmal gerufen, in die Dunkelheit gerufen, als riefe er meine Seele. Ein weiterer Händedruck Doris' bestätigte mir, daß auch ihre Seele feiner Schwingungen fähig war.
Voller Geißblattduft und Tau sei die Nacht gewesen, fuhr ich fort, voller Lindenblüten, längst seien der Rhein, die Weiden, die Welt versunken, einmal seien wir in den See, äh Rhein, gestiegen, und das Wasser habe sich an unsere heißen Körper geschmiegt und mit kleinen, grünen Wellen nach meinen Brüsten gegriffen, als verlange es wie Sigismund nach mir. Heiß sei mir das Blut in die Schläfen gestiegen, die Kehle habe es mir
Weitere Kostenlose Bücher