Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
bis wieder zu dem nämlichen Punkt bildet den tropischen oder periodischen M., der wegen des Vorrückens der Nachtgleichen kürzer als der siderische ist. Die Zeit, binnen welcher der Mondwechsel erfolgt, von einem Neumonde bis zum anderen, heißt der sinodische M., der wegen des Vorrückens der Erde in ihrer Bahn der längste sein muß; der Umlauf von dem aufsteigenden Knoten (s. d.) bis wieder zu demselben, der Drachen- oder Knotenmonat und endlich der Umlauf von der Erdnähe bis wieder dahin, der anomalistische M. Keiner dieser verschiedenen M. bleibt sich gleich, sondern jeder datiert wegen gewisser Störungen bald länger, bald kürzer. Die Länge eines jeden läßt sich daher nur von einer mittleren Zeitdauer oder im Durchschnitt aus allen wirklich vorkommenden Längen angeben. Da zwölf Mondenwechsel fast ein Sonnenjahr ausmachen, so nennt man wohl auch den zwölften Teil eines solchen (dreißig Tage, zehn Stunden, neunundzwanzig Minuten, vier Sekunden) einen Sonnenmonat. Über die Namen der M. s. Kalender und die betreffenden Sonderartikel.«
    Verstört sah ich mich um. Herr Maier bediente eine ältere Dame, die, in jeder Hand ein Buch, diese unschlüssig gegeneinander abwog, als könne ihr das Gewicht etwas über den Inhalt sagen. Ich war erschüttert. Da nahm ein jeder das Wort >Monat< mir nichts, dir nichts in den Mund, setzte es arglos aufs Papier und wußte kaum, wovon er sprach. Wußte nichts von >Drachen<, >Knoten<, >sinodischen Monaten«, nichts über ihre Dauer, ihren Anfang, ihr Ende, wußte selbst im Besitz des Bandes acht nichts über >Knoten<, konnte auch nichts darüber in Erfahrung bringen, außer daß dieser Knoten kaum etwas gemein hatte mit dem guten, alten Knoten, den das Wort Knoten doch wohl meint. Aber was ist ein Knoten? Ein Knoten ist das Ergebnis eines Vorgangs, bei dem das eine Ende eines Seils, Fadens, Stricks zu einer Öse gekrümmt wird, durch die das andere Ende des Seils, Fadens, Stricks hindurchgeführt und dann angezogen wird. Aber was ist ein Seil, ein Faden, ein Strick? Was ist eine Öse? Was ist ein Ende? Wo etwas aufhört? Was ist aufhören? Was ist was ist? Ich mußte mich setzen. Wörter und Dinge hatten plötzlich auf teuf- lische Art nichts mehr miteinander zu tun. Die Wörter fielen von den Dingen wie Parasiten aus den Fellen von Hunden und Katzen. Hier stand etwas, das >Tisch< hieß, ich saß auf etwas, das >Stuhl< hieß, und ich war etwas, das >Ich< hieß. Doch was war dieser Tisch, dieser Stuhl, dieses Ich? Der Tisch, des Tisches, dem Tisch, den Tisch. Das Ich, des Iches, dem Ich, das Ich. Ich klammerte mich an die Grammatik. Herr Maier war noch immer mit Käufern beschäftigt. Ein Mann gestikulierte wild und entschlossen mit einer Zeitung und schlug immer wieder seinen Handrücken auf einen bestimmten Artikel. Ich rollte die Trittleiter von M zu I und schob nun selbst die flache, linke Hand oben zwischen Buch und Regal, suchte Mittel- und Ringfinger der Rechten zwischen Regal und Unterkante zu klemmen, um, gleichzeitig ziehend und schiebend, das Buch aus der gemeinschaftlichen Zucht zu befreien. >Ich< stand zwischen >Icecream< und >Ichdin<.
    >Ich<, stand da, >ist der Inbegriff aller Eigenschaften, Verhaltensweisen und psychologischen Akte, die ein Individuum sich zurechnet. Etwa bei Beginn des dritten Jahres bezeichnet sich das Kind mit dem Wort Ich, gleichzeitig mit der Herausbildung des Wollens und Handelns aus der vorhergehenden spontan unreflektierten Aktivität. Im engeren Sinne bezeichnet Ich diejenige Instanz, die auf Umweltereignisse und auf die eigene Spontaneität reagiert. Diese Instanz wird als etwas Rückbezügliches und in sich Abgeschlossenes erlebt, ist im eigentlichen Sinne eigenschaftsarm, außer in dem Erlebnis der Initiative (des Impulsbewußtseins der Freiheit). Dieses eigentliche Ich ist die mir zum Teil bewußte Integrationsstelle zwischen den Ansprüchen der Außenwelt, der Gesellschaft (des Du) und der eigenen Impulsivität und Triebhaftigkeit.«
    Es folgten kleingedruckt eine Reihe von Buchtiteln, bevor es weiterging, und ich erfuhr, daß es ein transzendentales Ich gebe, ein fiktives und ein selbstgesetztes. Ich gab auf. Wegen >Minerva< und >Odermennig< war ich hergekommen. Zurück zu Band acht, >Mik bis Par<.
    Herr Maier schaute mir über die Schulter. Na, kommst du zurecht? Da hast du ja schon deine Minerva. Interessant, was? Ich nickte pflichtschuldigst, wenigstens hatte diese Minerva Hand und Fuß. Für Wörter, unter denen man sich

Weitere Kostenlose Bücher