Das verborgene Wort
Köpfchen dem nächstbesten Verbum ins Maul. Trichterförmig öffneten Wörter ihre Kelche bis zum
Griffel im Grunde, aus welken Silben strömte berauschend der Duft des Kumarin. Namen und Dinge durchdrangen einander, schufen einander neu und auf nie dagewesene Art, das Geschaffene und das Gemachte, die Dinge besprangen die Wörter, die Wörter die Dinge, Wörter, Dinge, Dingwörter bildeten wilde Hexenringe, aus denen es kein Entrinnen gab, Schlingen, die sich immer enger zusammenzogen um nichts, bis es kein Nichts mehr gab, nur noch Namen und Leben. Dinge und Wörter schufen sich neu im Paradies, Dingwörter, Wortdinge schufen sich ihr Paradies, träumten mit mir den Traum vom vereinigten Feld.
Vom Vorschuß holte ich mir keinen Badeanzug. Ich fuhr nach Großenfeld, dorthin, wo ich mir mein erstes Buch, die Gedichte Rilkes gekauft hatte. Anders als in Büchereien, wo ich mich geborgen, unter Freunden fühlte, bereiteten mir Buchhandlungen Unbehagen. Zwischen mir und meiner Begierde nach neuen Freundschaften stand das Geld. Je prachtvoller das Buch, desto höher die Hürde. Ich flüchtete in die Verachtung. Spargel schmeckt nicht.
Bisweilen begleitete ich Doris und deren Mutter in diese Buchhandlung. Wenn die Mutter einen der bunten, hochglänzenden Romane nach dem anderen bei der Kasse stapelte, stand ich in der Ecke bei den Reclamheftchen und knirschte vor Wut mit den Zähnen. Diesem Bohei aus Ärzten, Krankenschwestern, verarmtem Adel und habgierigen Erben, nichtsnutzigen Kindern und hartherzigen Eltern, diesem Tingeltangel um Liebe und Geld, Macht und Ruhm, diesen Hallodris die Ehre anzutun, sie aus den Regalen freizukaufen, schien mir angesichts meiner unscheinbaren Freunde in bescheidenem Pappumschlag, reclam- beige, ein Verbrechen. Äußere Unscheinbarkeit und innere Größe war ein Begriffspaar, das ich aus Märchen- und Bibelzeiten kannte. Die Letzten werden die Ersten sein. Manchmal, wenn ich mir ein Heftchen aussuchen durfte, erlöste mich Doris' Mutter aus meinem Trotz. Meist hielt ich mich an die Klassiker. Hin und wieder verführte mich ein Titel. >Mimili< oder >Erdbeeri Mareilk
Legte ich meinen Lessing, Goethe, Schiller, Mörike, Eichendorff, Brentano auf die Theke, nickte mir der Buchhändler anerkennend zu. Eine Auszeichnung! Buchhändler waren für mich eine Instanz. Bibliothekare verwalteten ihren Schatz. Buchhändler besaßen ihn. Kannten ihre Bestände wie der Bauer sein Vieh. Brachte ich stotternd den Titel eines Buches hervor, fühlte ich mich durchschaut, als hätte ich ein Geständnis abgelegt. Wie froh war ich, wenn ich einen meiner stillen Freunde der öffentlichen Zurschaustellung entrissen und in meine Obhut gebracht hatte. Jedesmal ein Fest, im Schuppen oder hinterm Hühnerstall gefeiert, innigste Vereinigung, Kommunion. Ausgeliehenen Büchern war ich dankbar wie Freunden auf Besuch. Ihre schönen Wörter und Sätze bewahrte ich in meinen Heften auf wie Schnappschüsse aus gemeinsamen Tagen. Doch vertraut werden konnte ich nur mit Büchern, die ich nicht nach drei Wochen wieder wegbringen mußte, zurückstoßen in das Heer der Wartenden, der Nichtgewählten.
Ein Lexikon suche ich, ließ ich Herrn Maier wissen, der durch seine randlose Brille allwissend auf mich herabblickte. Gleich würde er mir, ohne hinzuschauen, sagen, wieviel weiße Flecken ich gerade auf meinen Fingernägeln hatte.
Ein Lexikon, wozu? fragte der Buchhändler. Allein oder mit anderen. Bei schweren Sünden die Zahl angeben.
Zum Nachgucken, antwortete ich verwirrt, zum Lernen, zum Wissen. Ja, natürlich, junges Fräulein, lächelte der Buchhändler breit, einen Goldzahn entblößend wie Vorjahren die Wahrsagerin im Zigeunerlager, allerdings weiter hinten im Backenzahnbereich. Zum Wissen, natürlich, aber was wollen wir denn wissen? Musik, Architektur, Botanik, Zoologie, Astrologie, Literatur?
Ein Lexikon, wiederholte ich stur. Eines, in dem alles steht. Odermennig und Minerva, Goethe und Schiller, Plinius und Algebra. Letzteres, damit nicht der Verdacht aufkam, es gehe mir nur um meine Vorlieben. Und wer weiß, vielleicht half mir ein Lexikon wirklich zu verstehen, was es in der Algebra mit den Buchstaben auf sich hatte.
Alles willst du wissen, was ? Dann komm mal mit. Er stieg von der Trittleiter. Seine Brillengläser blitzten nun nicht mehr ganzso von oben herab. Er seufzte und lächelte wieder. Alles wissen. Wer möchte das nicht, junges Fräulein. Hier. Er ging ein paar Schritte nach rechts, neben die Ecke
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