Das verborgene Wort
Hineinsehen durfte ich. Da, wo Peter das Buch aufschlug. Weder den Verfasser noch den Titel wollte er preisgeben. Dafür erfuhr ich an diesem Nachmittag bis zum Einbruch der Dämmerung alles über Bohnen. Phaseolus vulgaris.
>Sämtliche Sorten<, so das Buch im braunen Packpapier, verkündet aus dem Munde Peter Benders, erscheinen in zwei Formen. Erstens die Busch- oder Kruppbohne, Staudenbohne von niederem Wüchse mit aufrechtem Stengel. Beliebte Sorten sind: frühe Adlerbohne, blauschotige Butterbohne, Schwertbohne, Schlachtschwertbohne, Ilsenburger Früheste, Kaiser- Wilhelm-Allerfrüheste, Allergrößte Weiße, Hundert für Eine. Klaviolettbohne, schwarze Wachsbohne, algerische Buschbohne, Schwanecks Zuckerbrechbohne. Non plus ultra, früh und reich, schwarze Negerbohne, früh und hart.<
Peter holte Luft. Er hatte die Namen bar jeder Betonung so hervorgestoßen, daß die Silben ihren Zusammenhang und die Wörter ihre Bedeutung verloren hatten. Bohnenbeschwörung wie Teufelsaustreibung.
Weiter, sagte ich.
>Die zweite Form ist die Stangenbohne, Schmink- oder Veitsbohne mit windendem Stengel.< Hier empfahl das Großvaterbuch die Schlachtschwertbohne, rheinische Zuckerbrechstangenbohne, Algierriesenwachsschwertbohne. Russische weiße Riesen, früheste Zuckerbrechbohne, violettschotige Speckbohne, Spatensproßbohnen...
Es rauschte im Bohnenlaub. Heraus aus den Stangenbohnen trat eine alte Frau. Sie ging gebückt und hielt mit der Linken die Schürze zu einem Beutel gerafft, die Rechte knipste Bohnen von den Stangen, soweit sie reichen konnte. Als sie uns sah, grinstesie blöde und drohte neckisch mit dem Finger. Peter fuhr unbeirrt fort und brachte noch einiges über das beste Gedeihen, die früheste Aussaat, den geeignetsten Standort, über das Lockern des Bodens, das Behäufeln der Pflanzen zu Gehör.
Die Alte beäugte uns offenen Munds, Peter fuchtelte erklärend mit der Hand in Richtung der Stangenbohnen, ja, sie ringelten sich nach oben, wie das Großvaterbuch es befahl. Anweisungen zum Grünkochen und zum Weißkochen von Bohnen folgten. Die Alte merkte auf, trat näher an den Zaun und nickte zustimmend. Dann begann das Buch zu erzählen, schrieb der Pflanze einen Namen und die Geschichte ihres Namens zu.
Kopfschüttelnd war das Mütterlein wieder zwischen Stangen-, Schlacht- und Schwertbohnen, bei den >Russischen weißen Riesen< verschwunden. >Nach altem Glaubens so Peter mit fester Stimme, ist die Zeit der Bohnenblüte zugleich diejenige, in welcher unter den Menschen die Tollheit blüht und herrscht. Schon ein alter leoninischer Vers besagt: cum faba florescit stultorum copia crescit.<
Peter ließ das Buch sinken und sah mich an. Latein, sagte ich, kann ich auch nicht. Wir lernen nur Englisch und Französisch.
>Solang die Bohnen blühen, blüht auch die Narretei, übersetzte Peter aus dem Buch. >So heißt es auch im Sprichwort, wenn jemandem durch die Blume Narrheit vorgeworfen werden soll: Na, die Bohnen blühen.<
Ja, fiel ich ihm ins Wort. Du bes ald widder en de Bunne, sagt die Großmutter, wenn sie mich ärgern will.
Peter sah mich unwirsch an und blätterte um: >Der Glaube ist alt, denn schon Simeon Sethi untersucht ihn in seinem um das Jahr 1070 geschriebenen Buche über die Nahrungsmittel und meint, diejenigen, welche sich viel an Orten aufhielten, wo Bohnen in Menge blühen, würden durch eine auf das Gehirn wirkende Ausdünstung derselben betört, wobei es sich aber ursprünglich vielleicht um eine Verwechslung von Saubohne, Vicia faba, griechisch Kyamos, und Schweinebohne, Hyoscyamus, gehandelt haben mag<.
Wir standen in der Julisonne, durstig, verschwitzt, und doch ließ ich mir nicht ein Wort dieser seltsamen Wahrheiten entge-hen, die sich auf so merkwürdige Weise von der Wirklichkeit entfernten und doch mit ihr so eng verknüpft waren. Ohne Bohnen keine Geschichten über Bohnen. Und was wären Bohnen ohne Namen, ohne Geschichten? Grünes Gemüse.
Wir entfernten uns vom Zaun und gingen ein paar Schritte weiter, hockten uns auf die Stufen am steinernen Altar des Kri- stoffer Kreuzes, der letzten Station der drei großen Prozessionen, Christi Himmelfahrt, Gottestracht und Fronleichnam, streckten die Beine von uns, ruhten die Rücken am Sockel des Kreuzes im Schatten der alten Linde aus und blieben in den Bohnen. >Weiße und schwarze Bohnen sind frühzeitig anstelle unserer weißen und schwarzen Kugeln bei Wahlen und Abstimmungen gebraucht worden, und bei den Griechen hieß darnach das
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