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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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umklammerte mein Handgelenk. Was konnte Sigismund nur geschrieben haben, das die Mutter so aufbrachte? Hatte ihm die schnöde Karte leid getan? Ihn endlich trunkene Sehnsucht gepackt wie Werther, als er sei-nen Brief an Lotte schrieb? Ohne Bedauern nahm ich Abschied von den Ausflügen mit Peter, von Peter selbst. Wie hatte ich Sigismund je über Pestwurz und Vogelmiere vergessen können!
    Setz desch, giftete die Mutter. Sie mußte sich ihrer Sache sehr sicher sein, sonst hätte sie nicht so unverfroren Kölsch mit mir gesprochen.
    Gib her den Brief, sagte ich, der ist doch an mich, man darf keine fremden Briefe öffnen, Briefgeheimnis.
    Briefjeheimnis, äffte die Mutter, un wat is dat he? Sie hielt mir den Umschlag vor Augen. >Maria Palm< stand da in ungelenker Handschrift. Die von Sigismund war es nicht. Auf der Briefmarke las ich >Italia<.
    Un jitz hürs de mer ens zo und dann säs de mer, wat dat ze bedügge [62] hät. Hilfesuchend sah ich mich um. Die Großmutter pflückte im Garten Stangenbohnen. Die Mutter knallte den Handrücken auf das Papier und richtete sich auf. »Verehrte Fräulein, Maria liebe, ein Jahr vorbei und ich nix kann vergessen. Du und ich am Rhein in Wiese. Ich dich bürsten male viele. So schön, so lang. Ich nix vergesse. Molto bello. Hier mein Adresse. Du schreiben. Du kommen, wenn Schule aus. Dein Federico.< Un dann noch sun Zeusch op Italiänisch. So, un jitz bes du dran! Die Mutter schäumte.
    Met nem Italjäner, nem Itacker, rief die Mutter ein ums andere Mal. Un för sujet schecke mer desch op de Scholl. Wat hät dä Kääl met dir jemaht?
    Nix, antwortete ich und spürte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg.
    Jo, jitz wüs de ruut! Jitz es et ze spät, sesch ze schamme, zischte die Mutter.
    Sie hatte recht. Ich schämte mich. Aber nicht wegen des Briefes. Ich schämte mich, daß ich mich damals für Federico geschämt hatte. Daß ein paar Wörter genügt hatten, ihn zu vernichten. Hatte ich nicht einmal mit Hanni mitten auf dem Kirchplatz gesungen: >De Haupsach es, et Häz es jut! Nur dorop kütt et an.    Gib her, ich versuchte, der Mutter den Brief zu entreißen.
    Das war Liebe. Ich eine Verräterin. Diese Adresse mußte ich haben.
    Dä Breef bliev bei mir, fauchte die Mutter, un du solls sinn, wat de dovon häs. Met nem Itacker am Rhing! Dat jiddet doch janit! Wat jlövs de, wat dä Breefträjer dä Lück verzällt!
    Maria, suchte die Großmutter die Tochter zu beruhigen. Dä Breef kütt doch us Italijen. Un in Italijen wohnt dä Papst! Lu- rens, wat för schöne Bunne!
    Bunne? schnaubte die Mutter. Waat, bes dä Papp no Huus kütt!
    Wieverkrom, brummte der Vater am Abend und ließ die Mutter mit dem Brief stehen. Im Garten des Prinzipals waren die gesamten Rosen von Rost und Rüsselkäfer befallen. Bis in die Nacht hörte ich ihn im Schuppen kramen.
    Der Brief war an einem Freitag gekommen. Am Samstag ging die Mutter auf den Kirchhof. Ohne mich. Am Sonntag war Peter nicht im Hochamt. Viel früher als gewöhnlich kam ich nach Hause. Die Mutter fragte nichts. Ich sagte nichts.
    Friedel schenkte mir wieder einen Roman. Mit ihren wäßrigen Augen schaute sie mich an, beredt, verständnisvoll, ein Blick zwischen zwei Erwachsenen. Ich heilte mich mit größerem Unheil, Liebe, Leid und Tod in schönem Deutsch. Wie verliebte ich mich in diese Effi, dieses Geschöpf voller Mut und Übermut, wie verachtete ich ihre Mutter, der die Meinung der Leute mehr galt als das Glück einer Tochter, die gefehlt hatte, ja, aber doch vor so langer Zeit, und alles bereut und vergessen. Und wie haßte ich diesen Instetten für die Abrichtung seiner Tochter: >0 gewiß, wenn ich darf.<
    Peter hatte nicht vor der Kirchentür gestanden. Er stand auch nicht am Fabriktor. Die Frauen rannten an mir vorbei, warfen mir mitleidige Blicke und aufmunternde Worte zu. Endlich ging ich auch. Nahm den Weg über die Vischerstraße zum Kapellchen, an den Rhein.
    Er saß auf der Bank nahe der Rhenania und schrak zusammen, als ich ihn anrief. Sonne, die in den Pappeln pulste, der gleißende Rhein, alles war wie immer. Wieder saßen wir gemeinsam auf dem rohen Holz der Bank im Licht und Schatten der Bäume.
    Meine Mutter, begann Peter, ohne mich anzusehen, ohne michzu begrüßen. Meine Mutter hat deine Mutter am Samstach auf dem Kerschhof jetroffen. An Küsters Jrab. Er machte eine Pause. Als ob das eine Rolle spielte, dachte ich. An Küsters Jrab, wiederholte er, wo wir die violetten Stiefmütterschen jepflanzt haben. Und

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