Das verborgene Wort
meines Alters hinterher, als würfen sie mit Schlammbatzen. Ich rannte davon und hatte das Wort und ihr gellendes Gelächter noch in den Ohren, als ich es längst nicht mehr hörte.
Das andere Wort klang kölsch, klang gemütlich, so, als ziehe man den Korken aus dem Glashals einer Flasche. Es hatte nicht den bösen Stachel des Wortes von der Scheunenwand. Ich hätte es sogar in den Mund nehmen, wie einen Kaugummi aufblasen und aus den Lippen herausplatzen lassen können. Das Wort von der Scheunenwand wagte ich nicht einmal zu denken. Das andere Wort roch nach Röggelsche und halvem Hahn, nach Kölsch und Köbes, Fastelovend und Spaß an der Freud. Es machte die Sache zu einer Gemütlichkeit für kleine Leute. Effi Briest und Crampas, Anna Karenina und Graf Wronski, Faust und Gretchen hatten >es< mit diesem Wort getan? Undenkbar!
Nachts lösten sich walzenförmige Schwellkörper, gefäßreiche Schwammkörper von ihren Becken, marschierten in endloser Reihe in festem Schritt und Tritt, Hodensäcke schwingend wie Knecht Ruprecht und Ruten, die sie aus frei beweglichen, mus-
kelreichen Hauttaschen zogen, drohend die einen, neckisch die anderen, marschierten im Stechschritt durch gleichschenklig gespreizte Bögen, bis sie fern am Horizont im Fettpolster eines Schambergs verschwanden, in Haarwuchs, Unterholz, Bodengestrüpp. Ich stand am Rande und schaute zu, wie als Kind bei der Schützenparade, und als einer der Schwammkörper auf mich zusprang, schrie ich, daß der Bruder mich weckte.
Lange lag ich wach. Gab es kein besseres Wort als >Rute Dann war der Ausdruck der Frauen bei Maternus ja noch besser. >Rute<, das war Strafe und Gewalt, Überwältigung, Schmerz. >Schwanz< klang wenigstens nur nach Tier.
Von den Abbildungen der männlichen Unterhosen in den >Quelle<- und >Neckermann<-Katalogen ahnte ich, was sich hinter den Wörtern verbarg. Die daumendicken, wurmartigen Wülste, die sich durch ägyptisch Mako, Doppelripp und gekämmte Baumwolle hervordrängten, faszinierten und ängstigten mich, und wenn ich an Jo Kackaller dachte, wurde die Angst überwältigend. Beide Wörter verstärkten mein Gefühl, etwas Dreckiges abwehren zu müssen, erweckten alles andere als Sehnsucht, diesem Wort in der Wirklichkeit nahe zu kommen, gar mit ihm zu verschmelzen, wie es in den Büchern hieß. Da lag man sich in den Armen. Keine Spur von Beinen oder Becken, Ruten gar, angeheftet zwischen Schenkeln. Was ich aus dem Lexikon erfahren hatte, machte mich, lagen zwei erst einmal Brust an Brust, auf das, was sich in deren Beinbereich abspielte, nicht erpicht. Es machte mich schaudern. Wenn die Scheide ein >häutiger, plattgedrückter Kanal zwischen Blase und Mastdarm^ also zwischen den Schenkeln, war, wo der >anschwellbare Körperteil des Mannes namens >Rute< ebenfalls >angeheftet war<, mußte der männliche Same dem weiblichen Ei, das ja in der Bauchhöhle lag, so nah wie möglich gebracht werden. Hereingebracht. Etwa so wie den Finger in die Nase. Etwa so wie Kackaller in das Huhn? Für diesen abscheulichen Vorgang konnte es keine schönen Wörter geben. Und doch waren alle hinter ihm her, wurden Vermögen verschleudert und Königreiche verspielt; betrogen und gemordet wurde um dieses Vorgangs willen, der zwischen Menschen und Tieren keinen Unterschied machte und für den die größten Dichter keine Worte fanden. Allein ließen sie einen mit den
Lexikonwörtern, der unbekannten Wirklichkeit wortschutzlos ausgeliefert. Hörten mit Sehnsucht, Verlangen, in den Armen liegen einfach auf. Dabei fing dann doch offenbar alles erst an!
In den nächsten Wochen las ich, was immer ich las, um mein Lexikonwissen zu ergänzen. Doch die großen Dichter rückten nicht mit der Sprache heraus.
Da fragte ich Sigismund, ob er mit mir auf die Kirmes gehen wolle. Ich traf ihn so unvermittelt, daß für Ausflüchte keine Zeit blieb. Ich hatte ihn überrumpeln wollen. Es war mir gelungen. Mit einem verlegenen oder ironischen Lachen hatte ich gerechnet, mit einem >warum nicht, na klar< oder einem langgezogenen >nein<, wie es seine Art war, wenn er sich herauswinden wollte. Doch diesmal gab er keinen Laut von sich, zog nur die Augenbrauen hoch auf eine Art, wie ich es niemals lernen würde. Ich wurde rot.
Du glaubst doch nicht im Ernst, ich wollte auf die Kirmes gehen. Hätte auf die Kirmes gehen wollen, würde auf die Kirmes gehen wollen, würde auf die Kirmes gegangen worden sein, allein oder mit anderen. Hier brach ich ab. Allein oder mit
Weitere Kostenlose Bücher