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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Emma?
    Dat weeß esch nit, erwiderte die Tante verstimmt, ävver wat spellt dat för en Roll. Dat Minsch wor schläät. Jut, dat et duut es. Un se han et och noch nit ens rischtisch bejrave. Et litt bei de Evanjelische in dä Eck für de Jlaubenslosen.
    Ja, dat is bitter, sagte Margot. Wenn sie den Kopf bewegte, schwangen ihre Löckchen wie Glöckchen ohne Klöppel.
    Aber das stimmt doch gar nicht, platzte ich dazwischen. Man hat sie kirchlich begraben. Sie hat die letzte Ölung empfangen, der Pfarrer hat das Misereatur und das Indulgentiam gesprochen, er hat ihr Augen und Nasenflügel, den Mund, die Hände und die Sohlen der Füße gesalbt. Nur die geweihte Kerze, die er ihr endlich in die Hand zu drücken versuchte, konnte die Sterbende nicht mehr halten. Der Pfarrer hat das Sterbezimmer mit Weihwasser besprengt und das Grab. Schließlich hatte die arme Frau ja nur aus Versehen Arsen statt Zucker genommen, als sie Vanillepudding zubereiten wollte.
    Hai de Muul, fuhr mich die Tante an, woher wells de dat dann all wesse? Du bes doch nit dobei jewäse!
    Margot nickte löckchenklingelnd, kaute mit vollen Backen und ließ den Rest einer Mohnschnecke auf und ab wippen.
    Aber dat Hilla kann doch so schön erzählen, ergriff Hanni meine Partei. Woher wills du dann wesse, ob dat wohr is, wat du hie verzällst? Du worst doch och nit dobei. Statt zu antworten, prustete die Tante eingespeichelte Krümel, als habe sie sich verschluckt. Lommer us verdraje, [67] lenkte sie ein. Et sin doch bloß Verzällsche. Wat jonn us de Verzällsche an. Papier is jeduldisch, wat, Heldejaad. Nimm dir noch en Nußeck.
    Schade, daß die Großmutter nicht dabei war. Sie hätte meine Geschichte vorgezogen. Eine Geschichte mit letzter Ölung und katholischer Beerdigung. Und gedruckt.
    Maria hatte währenddessen teilnahmslos in den Schoß gesehen und ein Sofakissen gestreichelt, das auf ihren Knien lag. Ihre Fingerspitzen schauten kaum aus den Ärmeln ihres Pullovers hervor. Maria fror immer. Sie hatte geschwiegen, am Kaffee nur genippt, das Gebäck nicht angerührt. Anderntags erfuhr ich es von der Mutter. Alma Mader hatte, während Maria in der Kabine eine Brustprothese probierte, noch eine andere Geschichte erzählt. Zwar in wenigen Sätzen nur und leise der Tante ins Ohr, doch durch den dünnen Vorhang hatte Maria alles gehört. Heribert, ihr Heribert, stand wieder vor einer Verlobung. Mit einer aus Kirberg, nicht mehr ganz jung und flach wie ein Brett. Das hatte Alma besonders betont. Was gingen Maria fremde Tragödien an, ob wirklich oder erfunden. Sie mußte ihre eigene leben.
    Geduckt saß sie da, als wolle sie in der Welt der Gesunden nicht stören. Blaß bis in die Augen, die weder traurig noch froh durch die Dinge hindurchzuschauen schienen. Sie schreckte auf, als die Mutter sie zum Essen mahnte, und schaute deren Hand, die ihr die Mohnschnecke vom Teller schnappte, gleichgültig nach.
    Margot schlug die Beine übereinander und wippte mit den Absätzen der pelzgefütterten Stiefeletten, in denen eine straff gespannte, blauschwarz melierte Lastexhose verschwand. Jibt et denn nit e bißjen Musick? fragte sie, das Kinn in Richtung Musiktruhe ruckend.
    Ja, Hanni, sprang die Tante ihr bei, Musick is jut für die Verdauung un für et Jemöt. Sachte stupste sie Maria in die Seite, die zusammenfuhr und sich aufrecht setzte, Bauch rein, Brust raus, wie in der Schule, sekundenlang, ehe sie wieder zusammensackte.
    Hanni stand auf. Ihre Brüste schaukelten sanft unter der mit
     

Tannenzapfen und Eichhörnchen bedruckten Kittelschürze. Flink fuhr sie mit ihrer Zungenspitze über die Lippen, ehe sie fragte, ob jemand einen besonderen Wunsch habe. >Marina, Marinas rief Margot. >Ein Häuschen mit Garten<, die Tante. Maria sagte noch immer nichts. Hanni wählte das Ave Maria. >Wir schlafen sicher bis zum Morgens sang die Knabenstimme, Maria liefen die Tränen übers Gesicht, die Tante mußte die Nase putzen, Margot stellte die Füße zusammen wie in der Kirche.
    Die Haustür fiel ins Schloß. Männerschritte im Flur: Hanni, esch ben et, Rudi. Esch treck mesch esch ens em Keller öm. Dunn dat, rief Hanni und stellte die Musik ab. Esch muß flöck mache, sagte sie, dä Rudi will jitz sing Esse. Hanni hielt ihre Fröhlichkeit nur mühsam aufrecht, wie ein Schauspieler, den mitten in einer Komödie eine ernste Nachricht überrascht. Aber laßt eusch nit störe, trinkt in aller Ruhe dä Kaffe aus.
    Kutt Lück, kommt Leute, sagte die Tante und wollte sich

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