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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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sie ja auch sonst nirgends gebrauchen.
    Einziger Gegenstand aus der Zeit vor Emmas Kauflust war das Klavier. Ein alter schwarzer Kasten aus dem vorigen Jahrhundert. Weißt du, ein Klavier, schmeichelte ich Hanni, war damals so etwas wie eine Musiktruhe heute. Eine Musiktruhe hatte Emma natürlich auch angeschafft, aber die war abgeholt worden wie die anderen Möbel.
    Hanni schaute stolz auf die Küchenwand, hinter der im Wohnzimmer ihre Musiktruhe stand.
    Emma war verzweifelt. Untröstlich. Doch eines Nachmittags, als Karl unverhofft ins Wohnzimmer kam, saß sie am Klavier. In einem dünnen schwarzen Kleid, das ihr um die Hüften ein bißchen zu eng war, saß in dem großen, leeren Raum mit den glänzenden Tapeten in Altrosa mit grünen Ranken und blauen Rosen.
    Blaue Rosen, unterbrach mich Hanni, wat du nit alles weiß, Hilla. Häs de Mäusje jespielt?
    Ich wurde rot.
    Mach weiter, Hilla, drängte Hanni und sah auf die Uhr, wer weiß, wann die Mama un dat Maria nach Haus kommen.
    So verloren saß Emma am Klavier, daß Karl gleich ja sagte, als sie ihn fragte, ob sie Klavierstunden nehmen dürfte. Sie wüßte auch schon eine Adresse in Düsseldorf, hätte das alte Fräulein in einem Antiquitätenladen getroffen, da, wo sie das Nähtischchen gekauft hatte. Das Nähtischchen war auch weg. Karls Einwand, man könne doch den Musiklehrer vom Gymnasium fragen und das Fahrgeld sparen, begegnete Emma mit Seufzen und Schweigen. Sie fuhr also nach Düsseldorf. Und blühte auf. Sie wurde regelrecht schön. Auch schien ihr die böse Erfahrung mit der Sparkasse allen Leichtsinn ausgetrieben zu haben. Sie drängte Karl weder zu Kirmesbällen noch Schützenfesten, ging ihn nicht einmal mehr um Geld an für ein neues Kleid, obwohl sie, bekam man sie denn einmal zu Gesicht, zumeist nur noch im sonntäglichen Hochamt, eleganter und geschmackvoller gekleidet war als je zuvor.
    Die Sätze, Hilla, die Sätze, warf Hanni ein.
    Ich nickte begütigend. Zu Hause traf man sie nur selten am Klavier. Sie kümmerte sich zum ersten Mal um den Haushalt, half sogar im Laden und bemühte sich, mit Karls Mutter auszukommen. Das ging wohl so ein halbes Jahr. Im Oktober war Emma zum ersten Mal zum Klavierunterricht gefahren, im Mai des darauffolgenden Jahres kam sie ungewöhnlich früh aus Düsseldorf zurück. Das Fräulein sei krank gewesen, erklärte sie und legte sich ins Bett.
    Emma war in den nächsten Tagen unruhig, rastlos. Von der nächsten Fahrt nach Düsseldorf kehrte sie wieder ausgeglichen zurück. Doch die Krankheiten der Klavierlehrerin und die vorzeitigen Heimkünfte häuften sich. Als Karl vorschlug, den Unterricht auszusetzen, bis die Gesundheit des Fräuleins wiederhergestellt sei, erlitt Emma einen Weinkrampf. Sie überließ den Haushalt wieder ganz der alten Frau, kam auch nicht mehr in den Laden, begann ihr Äußeres zu vernachlässigen. Nur mittwochs, wenn sie nach Düsseldorf fuhr, machte sie sich sorgfältig zurecht. Riß sich, wenn sie vergeblich gefahren war, nach ihrer Rückkehr die Kleider vom Leibe, als stünde sie in Flammen. Dann, Ende August, schien das Düsseldorfer Fräulein genesen, Emma in einem fiebrigen Glückszustand. Tagelang kramte sie in Kleidern und Wäsche, ordnete ihren Schmuck, legte Schals und Tücher zurecht, als gelte es, Vorbereitungen für eine große Reise zu treffen. Obwohl sie nun von den Klavierstunden immer später zurückkehrte, einmal sogar erst am anderen Morgen, nahm ihre Nervosität zu. Ganze Nächte habe sie, so die Mutter des Apothekers später, am Fenster gestanden und auf die Straße gestarrt.
    Im Oktober wurde die Klavierlehrerin wieder krank. Emmas Unrast ergriff das ganze Haus. Jeder fühlte sich von ihrer ziellosen Energie bedrängt.
    Da kam der Brief, genauer, der Brief kam zurück, an den Absender, und der war Emma. Winzig klein hatte sie Namen und Adresse auf die Rückseite gekritzelt. Auf der Vorderseite stand in ungelenken Buchstaben, zweifellos der Handschrift Emmas,eine Düsseldorfer Adresse, und zwar die eines Rudolf Schürmann. Auch das wäre noch kein Verhängnis gewesen, hätte nicht, wie gesagt, Karls Mutter jeden Brief geöffnet.
    Ich trank einen Schluck kalten Kaffee, hielt die linke Hand wie einen Brief vor die Augen und bewegte den Kopf die imaginären Zeilen entlang. Liebster Rudolf, las ich, warum läßt du mich so leiden? So quält man keine Katze. Wo bist du? Geht es dir gut oder schlecht? Im Laden sagte man mir, du habest gekündigt. Ich muß dich sehen und mit

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