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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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wortkargen Wesen erzählte ich und wie er abseits gestanden habe vom Haufen der Gleichaltrigen und doch kein Spielverderber war. Im grünen Röcklein mit breit über- schlagenem Hemdkragen, mit buntem Halstuch und verwegenem Barett ließ ich ihn malen und dichten. Ganze wunderliche Mal- und Schreibbücher habe er von Kind an gefüllt. Dann aber sei er, dem der Vater früh gestorben, zu Unrecht schon mit sechzehn von der Schule gewiesen worden. Genauso alt wie wir sei er gewesen, als er ins Leben getreten wurde.
    Ein Raunen ging durch die erste Reihe, die wieder ihr normales Maß erreicht hatte, kleiner wurde, je länger ich redete. Jawohl, ins Leben sei er getreten worden, wiederholte ich, aber dadurch sei ein machtvoller Drang in ihm erwacht, sich selbst zu bilden. Wie aber bildete man sich selbst? Etwa dadurch, daß man ins Leben trat? Einen Beruf ergriff? Etwas leistete? Mitnichten. Ich sang das Lob des Lesens. Erzählte in einem Knäuel von Sätzen und Namen von dem kleinen Kerl und mir, was er gelesen, was ich, warum ich las und wie und wo, erzählte, wie gerne wir beide lasen und aßen zur selben Zeit, das Buch und das Essen vor sich auf dem Tisch, wie das nährte und stärkte, eines das andere erhöhte. >Buddenbrooks< mit Schinkenbrot, >Effi Briest< mit einem Windbeutel, >Schach von Wuthenow< mit einem kleinen, harten, braunschwarz gebratenen Kotelett. >Im Kranz der En- gel< mit Johannisbrot. Weincreme zum >Südhang<. Sogar, daß ich jedesmal eine Portion dieser Süßspeise vom Kellerbrett klaute, nicht leicht bei einer makronenverzierten Oberfläche, erzählte ich, die Zuhörer auf ihren Stühlen kaum noch daumengroß. Nur Fräulein Abendgold, in normaler Größe, hatte es von ihrem Sitz gerissen, sie hielt die Hände in Brusthöhe und schob sie in Richtung Rednerpult, als wollte sie mich von dort entfernen.
    Ich stieg von dem Bänkchen hinunter - man hatte es hinter das Pult gestellt, damit ich drübergucken konnte - und tat ein paar Schritte bis zur Mitte der Bühne.
    Er hat es aber dann doch allen gezeigt, der kleine Kerl, den man so früh von der Schule geschickt hat, sagte ich. Er ist ein großer Dichter geworden. Dann wartete ich, bis es ganz ruhig war. Gottfried Keller, sagte ich:
    Die Zeit geht nicht, sie stehet still Wir ziehen durch sie hin; Sie ist ein' Karawanserei Wir sind die Pilger drin.
    Ein Etwas, form- und farbenlos, Das nur Gestalt gewinnt, Wo ihr drin auf- und niedertaucht, Bis wieder ihr zerrinnt.
    Es blitzt ein Tropfen Morgentau Im Strahl des Sonnenlichts; Ein Tag kann eine Perle sein Und ein Jahrhundert nichts.
    An dich, du wunderbare Welt, Du Schönheit ohne End', Auch ich schreib' meinen Liebesbrief Auf dieses Pergament.
    Froh bin ich, daß ich aufgeblüht In deinem runden Kranz; Zum Dank trüb ich die Quelle nicht Und lobe deinen Glanz.
    Unter spärlichem, kopfschüttelndem Beifall kletterte ich von der Bühne. Schulchor und Blockflöten trappelten zum Schlußlied auf die Bretter, alle hatten es eilig, nach Hause zu kommen.
    Im Hinausgehen nahm mich Lehrer Rosenbaum beiseite: Bist du sicher, daß du nicht weiter zur Schule gehen willst?
    Ich zuckte die Achseln, spürte die Tränen schon hinter den Augen, die Wörter schon in der Kehle.
    Joot, hörte ich in diesem Augenblick hinter mir die Tante zu der Mutter sagen, joot, dat dat von dä Scholl kütt. Wat hät dat sesch hie bloß zesammejeschwaad. Joot, dat dat kenner us Don- dörp jehürt hät. Dat blamiert jo de janze Sippschaff. Joot, dat dat fürbei es. Op dr Papp weed däm dat Schwaade ald verjonn.
    Ich ließ den Lehrer stehen und stürzte hinaus. Ins Leben.
    Ins Leben trat ich, trat in die Pedale meines neuen Fahrrads. Die Mutter hatte mir vom Gartentor aus nachgewinkt, mich mit einem hinterhältigen Lächeln verabschiedet: Jetzt war Schluß met de Bööscher, jetzt würde ich zur Räsong jebracht werden. Der größte Teil meines Weges lief neben der Straßenbahn her, die mir kreischend entgegenkam, in Richtung Großenfeld, in Richtung Schule. Der Tag war blendend schön, ein richtiger Ferientag, alle Schüler noch in den Betten, der Himmel strahlender Azur, ein kleiner Wind blies feine weiße Wölkchen vom Westen über den Rhein, der sich der Landstraße näherte und schließlich neben ihr herfloß, durch eine steil abfallende Böschung getrennt. Mit jeder Radumdrehung entfernte ich mich weiter von der Großvaterweide. Den Jauchewagen wagte ich nicht zu überholen. Immer mehr Radfahrer sammelten sich hinter dem dickbauchigen

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