Das verborgene Wort
goldfarbenes Feuerzeug klickte, Frau Wachtel stieß den Rauch gleichzeitig durch die langen, gelben Zähne und die Nasenlöcher. Ließ sich auf einen Holzstuhl mit Lederpolster und Armlehnen fallen.
Das ist dein Schreibtisch. Das ist dein Platz.
Mein Stuhl hatte weder Polster noch Armlehnen. Zwischen mir und Frau Wachtel etwa soviel Abstand wie in einem Abteil dritter Klasse. Meine Beine konnte ich einziehen. Aber meine Augen? Ich mußte den Kopf weit nach links verrenken, um ein Stück rußverfärbter Backsteinwand zu sehen, vor der sich träge ein paar Birkenzweige bewegten, die schon Laub und Kätzchen trugen. Schaute ich geradeaus, rückte ich mich hinter diesem Schreibtisch, der jetzt meiner sein sollte, zurecht, fiel mein Blick unweigerlich auf Frau Wachtel. Frau Wachtel hinter ihrem Verhau aus Rauch, der sich schnell vom ersten zarten, durchbrochenen Grau zu dunklen Schwaden verfärbte. Doch wie dicht auch immer der Schleier zwischen uns waberte, Frau Wachtels Blick drang durch. Sie betrachtete mich wie der Titelinhaber seinen Herausforderer kurz vorm K.-o.-Schlag. Mir brach der Schweiß aus. Ich schnappte nach Luft. Ich wollte zur Tür.
So geht das nicht! donnerte Frau Wachtel. Wer aufs Klosett will, muß fragen. Willst du aufs Klosett?
Nach Jahren hatte ich mir am Morgen wieder einen Zettel inden Schuh gesteckt. Auf der Kloschüssel saß ich und las: >Feiger Gedanken bängliches Schwanken, weibisches Zagen, ängstliches Klagen wendet kein Elend, macht dich nicht frei. Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten, nimmer sich beugen, kräftig sich zeigen, rufet die Arme der Götter herbei!<
Frau Wachtel sah kaum auf, als ich zurückkam. Saß vor ihrer Schreibmaschine und qualmte. Halb gerauchte Zigaretten schwelten in den Aschenbechern. Ich vertiefte mich in die Rippen des Holzrollos vom Aktenschrank hinter ihrem Schreibtisch, Rippen, Rollo, Götterarme.
Da liegt Arbeit. Dafür bist du doch hier. Oder?
Der Mann von der Direktion hatte uns heute morgen mit Sie angeredet. Hier zu widersprechen, wagte ich nicht. Wer weiß, wie weit die Arme der Götter reichten.
Da sind Briefe. Sie knallte eine Mappe auf den Tisch. Da sind Aktenordner. Sie packte mich im Nacken und drehte meinen Kopf nach hinten. Und darauf steht das Alphabet. Das Alphabet kennst du doch? Hahaha. Sollst ja so ein Bücherwurm sein, haha. Leseratte. Ha. Papier gibt es hier genug. Und jetzt siehst du dir an, wer die Briefe geschrieben hat, und heftest sie da ab, wo die anderen Briefe von dem auch schon sind, Ablage nennt man das. Verstanden?
Ablage, wiederholte ich. Nach dem Alphabet.
Immer wieder fuhr sich Frau Wachtel bei ihren Erklärungen mit zwei Fingern zwischen Hals und Blusenkragen, der die Haut rot aufgescheuert hatte.
Ich ordnete Briefe. >Die Zeit geht nicht, sie stehet still.< Das Klappern der Schreibmaschine wurde holpriger, Frau Wachtel schaute immer wieder auf die Uhr. Die Angestellten bekamen ihr Essen eine Stunde nach den Arbeitern. Arbeiter aßen. Angestellte gingen zu Tisch. Mahlzeit sagten beide.
Um fünf vor eins riß Frau Wachtel das Fenster auf.
Weg damit, herrschte sie mich an, drückte mir einen Aschenbecher in die Hand und zeigte auf die andern. Alle ins Klo! Angeekelt spülte ich die Kippenberge hinunter.
Fröhlich plaudernd kamen uns - ich wieder einen Schritt hinter Frau Wachtel - die beiden anderen Lehrlinge mit der quadratischen Dicken entgegen. Ich folgte Frau Wachtel zu den
Tabletts, dem Besteck, zu Suppe, Hauptspeise, zu Nachtisch und Getränk.
Daß es op dr Papp eine Kantine gab, hatte den Ausschlag für diese Lehrstelle gegeben. För fönfedressesch Penne kanns de doheem nit koche, war die Mutter der Tante in die Parade gefahren, als diese ihr die Straßenbahn vorrechnete. Un et nimmt em Sommer et Rad.
Von einem der Nebentische hörte ich Mechthild lachen. Sie saß mit zwei Männern in weißen Kitteln zusammen, die sich offenbar einen Spaß daraus machten, den neuen Lehrling zu erheitern.
Ich kaute jeden Bissen zu Suppe, kaute am längsten auf dem Pudding herum, ich kaute die Minuten zu Sekunden. Frau Wachtel drückte die Zigarette aus, scharrte das Besteck zusammen und sah mich auffordernd an. Ich tat, als merkte ich nichts. Sie klopfte auf den Tisch, ich löffelte weiter. Da griff sie mein Puddingschäl- chen, stellte es auf ihr Tablett und ließ mich mit dem Löffel sitzen. Ich lief hinter ihr her, Mechthild rief meinen Namen, ich tat, als hörte ich nicht.
Ich machte Ablage, bis das Klappern ihrer
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