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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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bei meiner Entscheidung für die Lehrzeit auf der Pappenfabrik sogar ein flüchtiger Trost gewesen.
    Im Lichte des hellen Geistes verstand ich alles. Die Schönheit war der Schlüssel, die Schönheit der Ordnung, des Sinns. Bestimmung der Buchstaben war es, Wort zu werden, Zweck des Wortes war der Sinn, wer im Wort war, war im Sinn. >Ich bin meine Freiheit.< Ich bin mein Sinn. Der Satz ergoß sich in mich wie eine Woge aus Licht. Ich hatte einen schönen Satz gefunden. Ich war glücklich. Ich war mein Sinn. Die Wirklichkeit gehorchte mir aufs Wort, tanzte nach dem Taktstock meines hellen Geistes. Solange es diesem gefiel.
    Das Horn eines Schleppkahns brachte mich zu mir. Ich fuhr nach Hause. Zerschlagen, erschöpft. Papier wurde auch aus Lumpen gemacht.
    >Ich bin mein Sinn.< Das war und blieb ein schöner Satz. Wert, in mein Heft geschrieben zu werden.
    Danach besuchte ich Mechthild fast jeden Tag, holte mir meine Absolution, die Gnade des hellen Geistes, ein Gläschen in Ehren, selten zwei, und ließ darauf in den Rheinwiesen oder im Holzstall Frau Wachtel, Dr. Viehkötter und Co. In Flammen aufgehen, Flammen aus züngelnden Buchstaben.
    In den Wiesen schwangen die Halme, schwer von Nässe und Samen, träge im Wind, grüne, gewaltige Mähnen. Ich hatte mein Fahrrad nach der Arbeit zu Hause gelassen, war den Weg hierher zu Fuß gegangen. Hin und wieder hatte es auch heute geregnet, Schauerwetter wie im April. Seit ein paar Stunden war der Himmel aufgerissen, Felder und Weiden wie gelackt unter einer kräftigen Hochsommersonne, festtäglich geputzt würden die Leute von Seldwyla das nennen, dachte ich, als ich dem Rhein, der sich in graugoldener Würde präsentierte, näher kam.
    Die Bank war trocken. Wie ein silbernes Himmelsgeschoß stieß eine Möwe in den Strom, andere stürzten ihr nach. Ich verfolgte ihren jähen Flug und die schattenhaft weiße Spur, die sie in der Luft hinterließen. Für alle Fälle wußte ich im Matchbeuteleinen Underberg, den ich neben dem Reclamheftchen jetzt immer bei mir trug.
    Peter war schön wie im letzten Jahr. Die Gesichtszüge hatten ihre kindliche Weichheit verloren, er war magerer geworden. Von seiner Mutter grüßen solle er mich, sagte er, noch bevor er guten Tag sagte. In mir bäumte sich der Rest des hellen Geistes zu einem wütenden Kichern. Manierlich lächelte ich Peter an und bewunderte seine Vespa, pünktlich zum heutigen Tage sei sie geliefert worden, erzählte er stolz. Dies sei die erste Fahrt, Jungfernfahrt nenne man das bei Schiffen. Peter ließ seine Augen auf mir herumwandern, musterte mich wie ein Käufer die Ware, die er nach Katalog bestellt hat, Bild und Wirklichkeit. Erinnerung und Gegenwart.
    Es ist also wahr, sagte er, ließ seine Lippen überm >a< offenstehen und sah mich aus seinen grünen Augen ausdruckslos an.
    Was soll wahr sein, fragte ich zurück. Peters Zähne schimmerten tadellos weiß hinterm roten Lippenpaar, >Rote Lippen soll man küssen Tahahag und Nacht<.
    Dat du nur noch Schwarz trägst, sagte er. Die Mutter sagt, wie sisch dat nette Mädschen nur so schäbbisch machen kann. Peters Augen noch immer auf Wanderschaft. Schön, schloß er dann, seine Lippen im >ö< zu einem vollendeten Kreis rundend, schön is dat wirklisch nit.
    Aber praktisch, sagte ich.
    Also stimmt dat nit, wat die Mutter jehört hätt. Wieder ließ Peter den Mund offenstehen, diesmal über dem >ä<. War es eine neue Angewohnheit, oder hatte ich das im letzten Jahr nur nicht bemerkt?
    Was denn? fragte ich.
    Dat du in einer Sekte bist. Peter schloß den Mund, sogar fester als nötig.
    Einer Sekte? echote ich. Ich kannte nur eine Sekte. Die Zeugen Jehovas. Nach Dondorf trauten sie sich nicht, sagte die Großmutter, aber in Großenfeld standen sie vor dem Fotogeschäft an der großen Kreuzung, weil dort die Leute Bilder von Hochzeitspaaren und Kommunionkindern begutachteten.
    Einer Sekte. Peter sah mich aus seinen unbewegten Augen mit aller ihm zu Gebote stehenden Eindringlichkeit an. Einer Sekte,die nur schwarz tragen darf. Ecks-, Ecksteinspezialisten, sagt die Mutter, heißen die Mitglieder.
    Nein, sagte ich, bestimmt nicht. Es ist einfach praktisch. Sieh her. Ich riß ein paar Blätter vom falschen Sauerampfer ab und zerrieb sie auf meinem ehemals blauen Baumwollrock zu einem dunklen Fleck.
    Siehst du, sagte ich. Trocknet, und weg. Was denkst du, wie das auf Hellblau aussehen würde.
    Peter sah zu Boden. Erleichterung und Dankbarkeit in seinen ebenmäßigen Zügen.
    Steisch

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