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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Kaisers Karl ein Schreibheft. Ist denn das erste schon voll, staunte der. Ich errötete. Kleiner Vorrat, was? scherzte der schlaksige dunkelhaarige Mann. Ich nickte.
    Ja, ich wollte mir einen Vorrat anlegen. Einen Vorrat schöner Wörter, wie >Bimsstein< oder >Bambusrohr<, >Pfauenschweif< oder >Frauenzimmer<. Vor allem aber eine Sammlung schöner Sätze wollte ich zusammentragen, Sätze, die immer stimmten, Sprichwörter. SCHÖNE WÖRTER, SCHÖNE SÄTZE, schrieb ich aufs Deckblatt, Für HILDEGARD PALM. Großgeschriebenem traute ich mehr zu. Ich teilte das Heft in der Mitte, füllte es mit schönen Wörtern vom Ende her, >Glasbläser< schrieb ich, Bunsenbrenner«, >Meerjungfrau<. Und an den Anfang: >Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.<
    Wenn ich einen schönen Satz las oder hörte, war das, als hätte ich etwas Wertvolles ergattert. Ein paar kräftige Sätze aus >Kalle Blomquist< und >Bomba, der Dschungelboy< schrieb ich auf ein Stück Packpapier, eine alte Mehltüte. Zur Sicherheit. Ich trug den Zettel, winzig gefaltet, überall bei mir, unterm Fuß im Strumpf, verlagerte mein ganzes Gewicht auf diesen Fuß, wenn Sigrid Gerschermann mich vom Wasserhahn schubsen, Helga mir mein Pausenbrot aus der Hand reißen wollte. So auf Kalle und Bomba fußend, spürte ich, wie mich Bärenkräfte durchströmten, Blitze aus meinen Augen schössen, böse Absichten im Keime vernichtend. Freundschaften brachte mir das nicht. Aber meine Ruhe.
    Der Schwan hatte die Schlägerei in seiner Wellpappe überstanden, die Mutter ihn zu den Sammeltassen gestellt. Kurz vor Weihnachten, es war am Morgen des vierten Advents, holte ichihn aus dem Schiebeschrank unterm Fenster hervor, um ein paar Mistelzweige, die mir Johannes aus der Gärtnerei geschenkt hatte, in die Öffnung auf seinem Rücken zu stecken. Er glitt mir, als ich ihn mit Wasser füllen wollte, aus den Händen und zerbarst im Spülstein, viele kleine Splitter, ganz so wie die Kugel von Kurtchen Küppers. Esch han et doch jewoß, sagte die Mutter, dat Blaach hät zwei linke Häng. Die Ordnung war wiederhergestellt.
    In den Büchern, die ich von nun an aus der Borromäusbibliothek nach Hause schleppte, konnte es nicht wüst genug zugehen. Wildwestromane und Detektivgeschichten las ich, besonders die von Edgar Wallace, Wollähs, sagte Annemarie. Mochten die Verbrecher, ein gewisser Hexer allen voran, auch noch so gerissen und rücksichtslos, blutrünstig und hinterhältig sein, Scotland Yard fing sie am Ende doch. Das Gute siegte. Das machte die Begegnung mit dem Bösen guten Gewissens zum Genuß. Was hatte ich mit den Schul-, Pensionats- oder Verlobungsgeschichten von >Heidi<, >Pucki< oder >Trotzkopf< zu schaffen, wenn es galt, mit Sherlock Holmes - Hohms mußte man sagen - einer Mörderbande den blauen Karfunkel abzujagen oder Jungfrauen aus den Händen von Mädchenhändlern zu befreien.
    Doch alles wurde wieder anders, als ich mein erstes Gebet- und Gesangbuch bekam, schmiegsames schwarzes Leder, Goldschnitt, zwei Seidenbändchen, hell- und dunkelblau. Auf der Rückseite mein Name, golden wie der von Frau Unkelbach auf dem >Schott<.
    Es waren nicht die Geschichten, die Hexer, Holmes und Märchen den Rang abliefen. Erkannte Jesus, daß die Tochter des trauernden Vaters nur schlief, lag der Fall wie bei Schneewittchen. Scheintot. Erweckte er Tote aus ihren Särgen, setzte ich >Fitchers Vogel< dagegen, die die Glieder ihrer beiden Schwestern, von einem bösen Hexenmeister zerhackt, aus dem blutgefüllten Bottich herausfischte, zurechtlegte und wiederbelebte.
    Jesus verwandelte Wasser in Wein, mit fünf Broten und zwei Fischen machte er fünftausend Menschen satt; Tischlein, deck dich<, sagte das Schneiderlein; Sterntaler regnete es Geld ins Hemd, und die Müllerstochter spann Stroh zu Gold.
    Die Geschichten waren es nicht. Es waren die Sätze. >Ich bin das Brot der Welt<, sagte Jesus. >Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.< >Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.< >Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes.< Wo immer ich das Buch aufschlug, seine Wörter und Sätze waren schön und geheimnisvoll, voller Zauber und Kraft. >Denn drei sind, die Zeugnis geben im Himmel: der Vater, das Wort, der heilige Geist. Und drei sind, die Zeugnis geben auf Erden: der Geist, das Wasser und das Blut. Und diese drei sind eins.< Das war schiere Magie. >Denn von ihm und durch ihn und in ihm ist alles. Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise, und mein Blut ist wahrhaft ein Trank. Wer mein

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