Das verborgene Wort
Großmutter wurde rot wie ein junges Mädchen. Als einzige im Dorf hatte sie, das erzählte man in der Familie immer wieder, nach dem Verbot noch zweimal die Kirchenfahne rausgehängt. Prompt war Beilschlag erschienen, hatte die Fahne beschlagnahmt, den Großvater mitgenommen und in den Keller des Rathauses gesperrt. Der Bürgermeister, noch immer der, bei dem die Großmutter Dienstmädchen gewesen war, hatte am anderen Morgen seine Entlassung verfügt. Auch beim zweiten Mal konnte er ihn noch einmal laufenlassen. Dann bekam Dondorf einen neuen Bürgermeister, und der alte Vischer starb nach einer Vorladung bei der Möhlerather Gestapo an Herzversagen.
Da habe man es eben, ergriff der Onkel wieder das Wort, wie die Großmutter gemacht, die, wenn das Dorf Hakenkreuzfahnen zeigte, die leere Fahnenstange aufgesteckt habe. Leere Fahnenstangen, den ganzen Kirchberg hinauf bis zum Gotteshaus, standen da, um Böhm zu empfangen. An ihren Spitzen die Messinghaken, sonst von den schweren Fahnen gegen das Holz gepreßt, klingelten im Westwind wie Weihnachtsglöckchen am Christbaum. Die ganze Gemeinde bildete schweigend Spalier. Aber die Meßdiener schwangen Schellen und Weihrauchfäßchen, die Glocken läuteten, und durch die offene Kirchentür habe man Honigmüller an der Orgel gehört, >Großer Gott, wir loben dich<.
He wor jo och ene staatse Kääl [28] , sagte die Tante aus Großenfeld mit einem schrägen Blick auf ihren Mann.
Gleich in seiner ersten Predigt habe Böhm kein Blatt vor den
Mund genommen. Nero, Karl V und Napoleon, erinnerte sich der Onkel, habe er mit Christus verglichen und sie als Nichtse bezeichnet im Vergleich mit dem Herrn, dem alleinigen Gebieter im Himmel wie auf Erden. Alles, was andere Herrscher sich herausnähmen, sei Anmaßung und Größenwahn. Jeder habe das verstanden. Nero, den blutrünstigen Christenverfolger, kannten alle. Beilschlag, Krippel und Hucht, den drei Goldfasanen, verweigerte er die geweihte Hostie an der Kommunionbank, die erste Vorladung wurde fällig. He wor ävver schlau un leeß sesch nit enschöschtere. Als die Schlageter-Schule den Religionsunterricht verbot, richtete er für ältere Kinder und Jugendliche besondere Bibelstunden ein. Do hinzejonn wor nit schön, weeß de noch, Maria, fragte die Tante die Mutter. Auf das Kirchengelände selbst hätten sich die Schlägertrupps nicht getraut. Aber vor dem Pfarrsälchen seien sie auf und ab gezogen. Am Ende sei sogar das Beten selbst gefährlich geworden. So habe sie, erzählte die Tante, Overraths Erika gefragt, warum sie an den Gebetsstunden nicht mehr teilnehme, und Erika hätte geantwortet, sie habe Angst, Pastor Böhm könne sie wegen ihrer schönen, klaren Stimme wieder zum Vorbeten auffordern. Ihr Vater sei aber doch auf dem Amt beschäftigt, und die Mutter habe gesagt, wenn du da soviel vorbetest, kriegt der Vater am Ende die Papiere. Wovon sollen wir dann leben. Mutter und Tante waren sich einig: Ohne Herzklopfen bis in den Hals, wacklige Knie und klatschnaß unterm Arm sei man nie nach Hause gekommen.
Ävver met de Pollacke hät de et jehatt, meldete sich Onkel Schäng. Jawohl, sagte die Großmutter giftig, die wore all jut ka- tholesch. Do kanns du dir en Schiew vun affschnigge [29] , und im besten Hochdeutsch: >Wat ihr dem jeringsten meiner Brüder jetan habt, dat habt ihr mir jetan.<
Do hät he jesesse, deutete die Großmutter auf den Sessel des Großvaters unter dem Kreuz. Un er hat och nix jejen en Täßje eschte Bunnekaffee oder ne Opjesetzte. Endlich sei wieder jemand im Dorf gewesen, der dänne do ovve die Zähne gezeigt habe. Du sollst Jott mehr gehorschen als de Menschen. Meist habe man über ganz praktische Dinge geredet. Wer die Kleider-
Sammlung für die Polen übernehmen, wer die Wallfahrt mit dem Bus nach Neviges organisieren sollte, sogar den Christbaumschmuck im Pfarrsälchen habe man besprechen können. Einmal aber sei er wutentbrannt in ihre Küche gestürzt, eine Postkarte in der Hand. Nun sehen Sie sich an, was da bei den Trösters am Küchenschrank steckt! Esch woß direck, wat los wor, sagte die Großmutter. Liesbeth Mauss war vor einigen Tagen durchs Dorf gezogen mit Hitlerbildern in unterschiedlichen Größen. Um die Frau schnell wieder aus dem Haus zu haben, habe auch sie ihr für fünfzehn Pfennig eine Postkarte abgekauft und geschwankt, ob sie sie gleich ins Feuer werfen oder lieber hinters Vertiko stecken sollte, um im Ernstfall etwas parat zu haben für Goldfasan und Kompanie. Hi em
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