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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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jeder Atemzug Verheißung einer Welt, wo Milch und Honig fließen und der Wolf bei den Lämmern liegt, lauschte dem schütteren >Agnus Dei< der brüchigen Altmännerstimme, das der Kirchenchor in einer gewaltigen Woge aufgriff. Die mächtigen Wörter aus dem >Schott< stiegen auf wie Raubvögel aus ihren Horsten, kreisten durch den hohen Raum, vorbei an den sieben Werken der Barmherzigkeit auf den Fenstern bei den Beichtstühlen, >Agnus Dei<, vorbei an den Stationen des Kreuzwegs auf der anderen Seite, >qui tollis peccata mundi<, toste um unsere Köpfe und in unsere Köpfe hinein, >dona nobis pacem<. >Pacem, pacem.< Immer wieder >pacem<. Ein Wort für mein Heft. Ich blinzelte in die Kerzen, ließ ihr flackerndes Licht verschwimmen, auf- und niedersteigen, bis zum Kreuz über dem Tabernakel, an dem der nackte, graue Jesus aus der Turnhalle hing. Ein dünner Weihrauchfaden schlängelte sich um seine durchbohrten Füße.
    Wenn dat der Böhm noch erläv hätt, seufzte die Tante beim Nachmittagskaffee. Die Mutter griff zum Taschentuch. In Ewisch- keit, Amen, sagte die Großmutter. Dat wor ene Hellije.
    Ävver met de Pollacke hät dä et jehale, Onkel Schäng, der Hasenschlächter, streckte seinen mit Pflaster und Verbandsmull verklebten linken Daumen steil in die Luft.
    Papa, wies ihn Hanni, seine Tochter, zurecht, sujar esch wees jo noch, wie se dän us dä Kersch jeholt han. Bloot em janze Jeseesch.
    Dä Breef von dä Jestapo wor froher ein Dorp als dä Böhm, begann die Großmutter. Schon in seiner alten Pfarrei sei er mehrmals vorgeladen worden. Wenn se all so wie der Böhm jewesewöre, hätte der Böschtekopp nix zu lache jehat, sagte die Großmutter, und die Onkel und Tanten gaben ihr mit einem Nicken zwischen Stolz und Betretenheit recht.
    Se kunte jo nix als verbeede, erregte sich Onkel Hermann, der in seiner Lehrlingszeit der katholischen Sturmschar angehört hatte. Anfangs habe man all die Verbote nicht so ernst genommen. Anders als die St.-Georgs-Pfadfinder habe man nie Kordel und Kluft getragen. Doch als zuerst die Schulterriemen, dann jede Art von Uniform und zuletzt jedes geschlossene Auftreten in der Öffentlichkeit verboten wurden, außer für die HJ, habe man sich eines Samstagnachmittags in den Rheinwiesen getroffen. Von dort aus sei man, angetan mit dunklen Hosen und weißen Hemden, per Fahrrad hintereinanderweg durchs Dorf gefahren, drei-, viermal, bis es auch der letzte Braune mitgekriegt hätte. Aber anhaben können hätte ihnen niemand was. Denn der eine hätte eine Schlägermütze, der zweite einen Homburger, der dritte einen Zylinder auf dem Kopf gehabt. Pudelmützen, Zipfelmützen, Ohrenschützer seien spazierengefahren worden. Sogar einen Kaffeewärmer und so manches Blechgeschirr, vom Kochtopf bis zum Nachttopf, habe man gesehen. Von Uniforme, lachte der Onkel, kunt mer werklesch nit kalle. Daß der dicke Pitter mit dem wehenden Brautschleier seiner Schwester die Runden drehte, brachte ihm allerdings eine Vorladung nach Möhlerath ein. Der deutsche Mann verhüllt seine Stärke nicht in Zubehören des schwachen Geschlechts. Verhöhnt nicht die Tugend der reinen Braut und späteren Mutter, han se däm jesät, sagte der Onkel. Un dann dorfte de Funkemariesche jo och ken Kääls mi sin. Un de Jungfrau em Köllner Fastelovend och nit, sagte Maria, Hannis Schwester, Befriedigung in der Stimme.
    Zum Zelten und Wandern sei man im ersten Jahr noch gefahren, erzählte der Onkel weiter, wenn auch immer in Begleitung eines Geistlichen, so, wie es die Nazis vorschrieben. Aber schließlich sei auch das verboten worden. Mer sollte nur noch bäde, seufzte er. Reine Gebetsvereine habe man aus ihnen machen wollen, und als das gelungen sei, habe man sie schließlich doch noch ganz verboten. Und dobei han se us alles nur jeklaut, empörte er sich. Nit nur de Fahne. Umständlich schwärmte er vom Christusbanner, das gerade die alten Fahnen ersetzt hatte,einem gelben XP auf weißer Seide, von der Christusnadel, dem Liederbuch >Das gelbe Singeschiff<, dem Vereinsblatt Jungführen. Vor allem aber, so der Onkel, han se us unseren Jruß geklaut. Treu Heil! han mer jeroofe, un dä räte Arm hammer och jehovve, ävver su. Der Onkel streckte den Arm aus, drei Finger der rechten Hand gespreizt. Ävver nur wenn dä Bischoff kom. Un jitz sullte mer dä Böschtekopp dornet jröße!
    Die Mutter seufzte. Dat wor doch ald lang vorbei, wie dä Böhm kom, sagte sie. Mer dorfte doch noch nit ens mi de Ker- schefahne rushange. Die

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