Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
stehen, Hildegard, wiederholte Mohren. Ich meine, du kannst dich setzen. Jedenfalls habe ich dich aufgeschrieben. Ich werde schon dafür sorgen.
    Ich blieb stehen. Neben mir saß Hannelore Pihl. Rechnen konnte sie besser als ich. Sie war die zweitbeste Schülerin unserer Klasse. Ihr Vater ungelernter Arbeiter wie der meine. An eine höhere Schule dachte bei ihr wie bei mir zu Hause keiner.
    Ich setzte mich nicht, wartete, daß Mohren Hannelore aufforderte, gleichfalls aufzustehen. Er tat es nicht.
    Hannelore sah zu mir hoch. Ich konnte ihren Blick, der sich ineinem Tumult aus Neid, Sehnsucht und Trauer von mir verabschiedete, kaum ertragen.
    Hannelore stand nicht auf. Sie wurde Verkäuferin und heiratete einen Mann, der keine Kinder haben wollte. Als sie schwanger wurde und nicht abtrieb, ließ er sich scheiden. Das Kind war eine Frühgeburt und lebte nur ein paar Tage. Hannelore übernahm, nach dem Tod des Besitzers, den Lebensmittelladen, in dem sie schon gelernt hatte, und schloß sich einer Edeka-Kette an. Später, das war das letzte, was mir die Mutter erzählte, heiratete sie einen Witwer, der ein Rewe-Geschäft betrieb.
    Als der Lehrer zu uns kam, verzog der Vater keine Miene. Saß am Küchentisch und schlang sein Essen hinunter, nickte ein paarmal, sagte nichts. Un wer soll dat bezahle? fragte er endlich. Das werde die Gemeinde übernehmen, sagte der Lehrer. Man solle eine Eingabe machen, das Weitere werde er schon regeln.
    Ävver nur för de Meddelscholl, sagte der Vater, et is doch nur e Weet.
    Von Stüssgens Franz, der in Möhlerath bei einem Steuerberater arbeitete, ließ sich die Mutter einen Brief an den Bürgermeister aufsetzen. Das kostete fünf Mark mit Tippen und einem Durchschlag; dafür brachte mir in diesem Jahr der Osterhase nichts. Die Bewilligung kam in der Karwoche. Es war ein Wunder. Ohne Weihwasser und Magie. Ich war nicht heilig, aber auserwählt. Ich würde Gott noch einmal um den Großvater angehen. Mit einem Opfer.
    Am Aschermittwoch stellte die Großmutter zwei hohe Weckgläser auf den Tisch. Fastenzeit. Von nun an wurden alle Süßigkeiten gehortet. Ich war eine fanatische Sammlerin, sah mit wollüstigem Geiz, wie das bunte Süße langsam, aber stetig anwuchs, alles zur Ehre Gottes. Kasteite ich mich nicht ebenso wie Johannes der Täufer mit seinen Heuschrecken und wildem Honig? Protzend hockte ich Karsamstag dann mit meinem Schatz vor der Haustür und schürte den Neid der Nachbarskinder.
    Auch in diesem Jahr saß ich mit meinem randvollen Glas auf der Treppe, die Kinder um mich versammelt. Wir mußten warten, bis um vier die Glocken wieder läuteten, die seit Freitagnachmittag geschwiegen hatten. Beim ersten Ton hob ich das
    Glas wie der Pastor die Monstranz. Wie das blinkte und lockte! Aah, machten die Kinder. Ich ließ den Deckel aufschnappen. Schnupperte. Verdrehte die Augen. Fischte ein Marzipanei und wickelte es aus. Wickelte es wieder ein. Tat es in das Glas zurück. Früher hatte ich vor den gierigen Augen der Habenichtse immer ein Stück nach dem anderen gegessen, bis ich nicht mehr konnte.
    An diesem Karsamstag teilte ich alles aus. Birgit holte ihre Schwester, Gerd seinen Bruder, der Freunde aus anderen Straßen, immer mehr Kinder standen Schlange. Ich spielte Schicksal, ich, dat dolle Döppe, dä Düvelsbrode war großzügig, freigiebig und gerecht. Ein Kind nach dem anderen marschierte an mir vorbei und durfte wählen. Rechte Hand, linke Hand, gefüllt oder leer. Riet eines zu oft falsch, ließ ich hinterm Rücken Gnade vor Recht ergehen. Von den ersten Stücken hatte ich mich noch schweren Herzens getrennt, doch je mehr ich verteilte, desto größer wurde meine Freude. Ich, dat Drömdöppe, besaß etwas Anfaßbares, womit ich tun konnte, was ich wollte. Ich konnte machen, daß andere sich freuten. Opfer bringen war schön, viel schöner als selbst essen.
    Julchen und Klärchen sahen kopfschüttelnd aus dem Fenster, Julchen verschwand und platzte mit der Mutter aus der Haustür. Bes de verröck jewode, fuhr die Mutter mich an. All dä Krom ze verschenke. Dä hät Jeld jekoss. Jäff dat Jlas her.
    Die Kinder wichen zurück. Ich umklammerte das Glas mit beiden Händen, preßte es an die Brust. Das Opfer durfte nicht schiefgehen.
    Oma, schrie ich, help mer.
    Die Oma es en dä Kapell, fauchte die Mutter, un du jüs mer jitz dat Jlas her. Waat, bes dä Papp no Huus kütt.
    Nä, schrie ich, die Klömpsche jehüre mir, do kann esch met mache, wat esch will.
    Dat wulle mer ens

Weitere Kostenlose Bücher