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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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und die Mutter sah aus, als wollte sie gleich zu weinen anfangen.
    >Halleluja<, sang der Chor, da hörte ich noch die Stimmen der Cousinen heraus; >Gloria in excelsis deo<, sang der Chor, da ver-nahm ich nur den reinen Gesang; >Donna nobis pacem<, da sangen allein die Engel, allein für mich.
    Ich wollte, daß dies niemals zu Ende ging, wollte ewig geborgen sein in dieser Musik, diesen schönen, vorbestimmten, bedeutungsvollen Gesten und Gebärden, diesem Knien und Stehen nach Regeln und Gesetz, diesem sich Drehen und Wenden, diesem Hände heben und senken, die Knie strecken und beugen, das Meßbuch tragen von rechts nach links, und Kuß auf das Buch, Kniebeuge vor dem Tabernakel, Buch und Kuß, Kniebeuge und Kuß, und wieder von rechts nach links. Einmal, zweimal, dreimal schwangen die Schellen: >0 Herr, ich bin nicht würdig, daß du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.< Und der Großvater auch. Gott war gut. Er hatte mich bis hierher geleitet, in die neue Kirche. Ich würde auf die Schule gehen. Ich überschwemmte mir die Lungen mit dem Duft von Weihrauch und Kerzen, Lilien und Narzissen, als könnte ich all den Gestank aus Plumpsklo und ungeleerten Nachttöpfen in ungelüfteten Zimmern, den Geruch von Kernseife und saurem Kappes, Baldrian und Melissengeist für immer wegspülen. In diesen lichtdurchfluteten Rauchwolken öffnete der Himmel selbst seine Arme für all die Mühseligen und Bela- denen. Aus diesem >Haus voll Glorie< wollte ich als Gottes Kind an Gottes Hand hinaus in Gottes weite Welt gehen. Wie meine Schutzpatronin Hildegard. Der Ohm hatte mir zur Kommunion ein Buch geschickt: >Das Leben der heiligen Hildegard von Bingens Ich wollte werden wie sie: weise, wundertätig und berühmt. Ein Licht der Welt sein wollte ich, Jesus im Herzen und auf den Lippen und alles >in Wahrheit würdig und recht<. >Sursum corda.< Weit hinaus in die Welt. Zuerst aber wieder nach Hause. Das Kleid kratzte teuflisch. Durch das Futter hindurch.
    Meine erste heilige Kommunion war das erste große Familienfest nach dem Krieg. Sie waren alle gekommen. Die Rüppricher, Ploonser, Bergisch Kroller väterlicherseits. Die vornehmen Miesberger, Großenfelder, Ruppersteger mütterlicherseits. Die Rüppricher zu sechst in einem Hanomag. Ein Cousin mit Verlobter in einer Isetta. Die Ruppersteger in einem DKW. Vor unserem Haus parkten drei Autos!
    Bis auf den Schrank mit dem Stöckchen hinter der Uhr war das Wohnzimmer ausgeräumt, Tische und Stühle aus der Nachbarschaft zusammengetragen worden. Dennoch konnten nie alle auf einmal in dem zwölf Quadratmeter großen Zimmer sitzen. Einige Frauen machten sich daher ständig in der Küche zu schaffen, wo die Tante kochte. Sie tat dies bei kleinen Festen auch in anderen Familien, immer die gleichen Speisen: eine Brühe aus Rind- und Hühnerfleisch mit Eierstich und Markklößchen, Schweine- und Rinderbraten mit Salzkartoffeln und Leipziger Allerlei, je nach Stand der Familie mit Spargelstücken oder Spargelköpfen. Bei uns gab es gar keinen. Man war sich einig: Spargel schmeckt nicht. Zum Nachtisch Weincreme mit Makronen.
    Tage vorher war gebacken worden. Streuselkuchen mit Apfel und Kirschen, Buttercremetorten und Bienenstich, Rodong mit Rosinen und ohne. Dann verteilte sich ein Schokoladenmuster im gelben Teig. Wochenlang hatte die Großmutter Eier gesammelt und Herr Pieper den Butterklumpen besonders großzügig abgetrennt, ehe er ihn ins Pergamentpapier geschlagen hatte.
    Wozu waren all die Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins gekommen? Um zu essen, um zu trinken, um zu klagen. Herzhaft, saftig, mit Genuß und in aller Ausführlichkeit. Und nie unterließen sie es, ihre Klagen zu beenden mit der Versicherung: Ävver mer wolle nit klage. Alle klagten. Tante Lisbeth über Mäuse im Haus, Tante Anna über Knacken im Knie, Cousine Miesberg über die Straßenbahn, Onkel Anton über seinen Hahn, Tante Berta über die Hühner, die Eier, die Preise, Onkel Karl über Zähne, die er nicht mehr besaß, Onkel Alfred über den lahmen Arm, Tante Guste über den trägen Darm, Onkel Konrad, daß nichts mehr wie früher war, Tante Klara, als alles viel schöner war, und Onkel Gustav über Müppen, die in Saus und Braus und auf unsere Steuergelder.
    Jetzt, nach dem Krieg, taten gutgenährte Frauen den Wohlstand einer Familie kund. Ziel eines deutschen Fräuleins war die Vermählung mit Anfang Zwanzig, um sich nach der Heirat in kürzester Zeit auf Größe

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