Das verborgene Wort
sein, mit so viel Glück vor Augen. Noch einmal schlafen.
Aus so vollem Herzen wie an diesem Weihnachtsmorgen hatte ich Gott noch nie gedankt. Lernen wollte ich, schwor ich, eingehüllt in Licht und Duft der hohen Christbäume rechts und links vom Altar, meine Geige spielen lernen, die zu Hause schon für mich bereitlag. Lernen, bis ich Töne hervorbringen konnte, die die Menschen direkt ins Herz trafen, Töne, die machten, daß man weinen mußte und doch froh war. Oder machten einen die Töne so froh, daß man nicht anders konnte als weinen? Auch den Vater und die Mutter wollte ich froh machen, endlich würden sie begreifen, daß ich ihr Kind war und nicht däm Düvel us dä Kiep jesprunge. So lauthals sang ich die Weihnachtslieder, antwortete ich mit der Gemeinde den Meßgebeten des Pastors, der heute so prächtig anzusehen war mit seinem goldgrünen Gewand und der rosafarbenen Schärpe, daß die Mutter mich ansah, als führte ich Übles im Schilde.
Es war Feindschaft auf den ersten Blick. Was da aus den weihnachtlich bemalten Papptellern, beladen mit Äpfeln, Nüssen, Spekulatius, Spritzgebackenem, Süßigkeiten in buntem Stanniol, zwischen Schlafanzügen und Unterhemden, Socken und
Handschuhen in Rot, Weiß, Schwarz und Silber herausragte, war ein Quetschebüggel.
Quetschebüggel spielten schweißtriefende Männer, eingehüllt vom eigenen Speck wie in eine Steppdecke. Mit fetten, labbrigen Armen zogen sie den Gegenstand vor ihren gedunsenen, von Netzhemden umspannten Bäuchen auf und zu, quetschten die wurstigen Fingerenden auf die schwarzweißen Tasten und Knöpfe und brüllten dazu ein Lied nach dem anderen, krebsrote Biergesichter, vom Grölen und Grinsen entstellt. Am ersten Mai ging es los, wenn am Madepohl zum Hahneköppe der Maibaum aufgestellt wurde und der blutige Kopf des Tieres in die johlende Menge der Zuschauer flog. Danach konnte man sie den ganzen Sommer über antreffen, wann immer im Gasthaus >An dr Kapell'< ein paar Tische und Bänke im Freien standen. Schon von weitem hörte man das Kreischen der Frauen, das Wiehern der Männer und über allem die Gemeinheit des Quetschebüggels.
Das Ding kam von der Cousine mit den vielen Puppen. Sie hatte es vor zwei Jahren zu Weihnachten bekommen und im letzten Jahr, als wir alle zum Singen unterm Christbaum versammelt waren, sich kläglich darauf abgemüht. Wie damals, als Hänschen wiedergekommen war, fiel ich in Ohnmacht. Mir schwanden, hieß das in meinen vornehmen Büchern, die Sinne. Ich wollte das, was da durch das Zimmer lärmte, nicht hören, nicht sehen, nicht anfassen müssen. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben.
Wat hät dat Kenk? Et es de Freud. De Freud es ze jruuß. De Oprejung, die Aufregung, hörte ich die Stimme der Mutter, als ich wieder zu mir kam.
Kaum hatte ich mich aufgerappelt, griff der Vater nach dem Instrument. Do häs de dinge Quetschebüggel, sagte er, dä kütt us Röppresch. Lommer ens Iure, ob de ald jruß jenuch dofür bes.
Ich preßte die Arme an den Körper und erstarrte. Um nichts in der Welt wollte ich mit diesem Ding in Berührung kommen. Ruck rechts, Ruck links, bog mir der Vater die Arme auseinander und hängte mir den Gegenstand vor den Körper. Er reichte mir bis zur Hälfte der Oberschenkel, die Riemen schnitten tief in meine Schultern, die das Gewicht vornübersacken ließ. Aufgeregt sprang der Bruder um mich herum und versuchte, die Tasten zu drücken.
Nu treck ens dran, befahl der Vater.
Ich rührte mich nicht und brach in Tränen aus.
Wat jiddet denn do ze kriesche. Du solls dran trecke. Der Vater ergriff meine Hände, steckte sie in die Schlaufen, riß mir die Arme auseinander - das Ding gab einen asthmatisch schlurfenden Laut von sich - und schob sie wieder zusammen. Der Bruder erwischte eine Taste, preßte sie aus Leibeskräften, dem Balg entfuhr ein quietschender schriller Ton, es klang wie im Sommer, als der Güterzug hinterm Haus eine Vollbremsung gemacht hatte, um den besoffenen Kackaller nicht zu überfahren.
Ich tat einen Satz nach vorn. Der Vater hielt meine Arme fest. Meine rechte Schulter knackte, Schmerz durchzuckte das Gelenk. Der Arm ließ sich nicht mehr bewegen, leicht angewinkelt und nach hinten gebogen tat er am wenigsten weh. Loß dat Kenk en Ruh, mischte sich mit schwacher zitternder Stimme der Großvater ein. Jemand nestelte mir das Ding vom Leib, dann brachte man mich, in eine Decke gehüllt, zu Mickel, der mir den Arm mit demselben burschikosen Handgriff wie für störrische
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