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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Dat es jo nit zem Anhüre. Die Ablehnung spornte mich an, ich machte Fortschritte. Es war kurz nach meiner ersten heiligen Kommunion - in den ersten Wochen auf der Realschule, der Großvater schon tot -, als die Mutter Honigmüller mit der Giftigkeit von Leuten, die ihr Geld ohnehin lieber vernünftiger nutzen würden, unumwunden zu verstehen gab, daß man für su ene Katzejammer keine Mark mehr zum Fenster hinauswerfe. Sie genoß es, die Überlegene zu sein, nicht zu nehmen, sondern zu geben. Wenn schon Verschwendung, wollte man wenigstens kriegen, was man wollte.
    Aber Frau Palm, Honigmüller knäulte sich zusammen, Ihre Tochter macht beste Fortschritte. Sie spielt nach Bach, nach Buxtehude, sogar nach Prätorius. Sie können stolz sein auf Ihre Tochter. Mit diesem letzten Satz war alles verloren. Dis mol, schnitt die Mutter dem Organisten das Wort ab, dis mol und von jitz an liert [39] dat Kenk, wat userens sesch anhüre kann. Su jet wie die op dem Madepohl spille. Für su ne Kokolores mach esch nit jede Woch he em Wohnzemmer dat Füer an. Der Papa wünsch sesch: >Mein Herz, dat is ein Bienenhaus«. Ävver doför es dat Kenk noch ze kleen. Ävver mer wolle de >Lindenwirtin< hüre.
    Oder et jüt ke Jeld mi. Denk an dä Jebootsdaach von dem Opa. >Lindenwirtin, du junges dat kennt Ehr doch, Herr Honischmüller. Die Mutter begann zu trällern. Sie hatte eine angenehme Altstimme und sang, wenn sie gut aufgelegt war, mitunter beim Bettenmachen zur Muttergottes, besonders im Frühjahr zur Maienkönigin, zuweilen mit den Nachbarinnen Julchen und Klärchen auch zweistimmig, >Meerstern, ich dich grüße<. >Lin- denwirtin, du junge<. Für diesmal kamen wir noch davon. Es fehlten die Noten. Und so spielte ich noch einmal meine kleinen Stücke großer Musik, so langsam und langgezogen wie nur möglich. Honigmüller war's recht, schrie nicht wie sonst Fis-fis oder Cis-cis, die schwarzen, die schwarzen, wenn ich danebengriff. Wir wußten beide: Das war der Abschied vom Akkordeon. Jetzt war der Quetschebüggel dran. Bei allem, was sich nicht einzig und allein in meinem Kopf abspielte, hatten die Eltern das letzte Wort. Und das war: Quetschebüggel.
    Sage nie, dat kann isch nischt, du kannst et doch, du willst et nischt, pflegte die Großmutter zu sagen, wenn ich mich beim Kirschenentkernen, Beerenpflücken oder anderen häuslichen Handreichungen ungeschickt anstellte. Sie hatte recht. So erstaunlich meine Fortschritte auf dem Akkordeon gewesen waren, so rapid ging es mit meinen Leistungen auf dem Quetschebüggel bergab. Als Honigmüller das nächste Mal kam, blieb die Mutter an der Tür stehen und ging erst, nachdem er ihr das Heft vorweisen konnte, gelblich dickes Papier, darauf ein flott skizzierter Mann in Lederhosen und Kniestrümpfen mit verwegener Haartolle und breitem Grinsen, ein Akkordeon zwischen den stämmigen Armen. Hinter ihm in mißlungener perspektivischer Verkürzung andere Lebewesen seiner Art, auch dazu passende Frauen in Dirndln, auf langen Bänken schunkelnd unter Tannen mit Zapfen. Aus den Falten des Instruments schwirrten Noten, die sich am oberen Heftrand zu Buchstaben formten: >Horch, was kommt von draußen rein. Frohsinn im Rheinlands und am unteren Rand: >Für die schönen Stunden in heiterer Runde<.
    Jenau, sagte die Mutter.
    Dafür muß ich zwei Mark fünfzig in Rechnung stellen, sagte Honigmüller und wand das Heft in seinen Fingern, als wollte er es wie ein Zauberkünstler zum Verschwinden bringen.
    Wat, zwei Mark fuffzisch? Jo, dann es et och jet wert, die Mutter kam mit der Sammeltasse zurück und zählte Honigmüller fünfundzwanzig Groschen in die Hand. Un dat de mer jitz och liers, sagte sie, die Sammeltasse in meine Richtung schwenkend, daß es schepperte.
    Zunächst versuchte ich, was mir da aus dem Heft entgegenkam, mal eben so wegzuspielen, wegzuwischen wie lästige Fliegen, einfach so vom Blatt weg. Dafür aber war dieses >Mädel, ruck-ruck-ruck an meine grüne Seiheite«, dieses >Heidewitzka, Herr Kapitäns diese >Lindenwirtin, du junge< zu schwierig. Mir taten die Schultern weh und Honigmüller die Ohren. Vorbei war es mit meinen langgezogenen Feierlichkeiten, vorbei mit Honigmüllers Augenweide im Pflaumenbaum, obwohl er jetzt in voller Blüte stand. Cis-cis-cis, schrie er mit sich überschlagender Stimme in das röchelnde Mißgetön, als wäre durch Cis-cis-cis irgend etwas zu retten gewesen. Ich hechelte den Tönen hinterher, als könnte ich sie wieder einfangen, all dies Gekreische,

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