Das verborgene Wort
Gekrächze, die quäkenden Peinlichkeiten nicht hinaus-, sondern hineinpressen, dahin zurückstauen, wo sie hergekommen waren, in dieses grobschlächtige Gemenge aus Pappe, Leder und Bakelit. Meine Bemühungen waren entsetzlich. Honigmüller hielt es nicht länger auf seinem Stuhl. Unablässig rannte er die drei Schritte zur Tür, zum Schrank, zur Tür, mit jeder Luftbewegung des Instruments fing ich einen muffigen Geruch nach ungelüfte- ten Kleidern auf
Dennoch! Dieses musikalische Gesocks sollte mich nicht unterkriegen. Aber der Ehrgeiz kam nur aus Trotz, nicht aus Liebe, und hielt nicht lange vor. >Angetahan hat's mir der Wein, deiner Äugelein heller Schein, Lindenwirtin, du juungge, Lindenwirtin, du junge.< Der siebzigste Geburtstag des falschen Großvaters rückte näher. Ich fuhr seit beinah vier Monaten zur Realschule. Auf die Frage, wer ein Instrument spiele, hatte ich mich nicht gemeldet. Aber ich sang, da ich Noten lesen konnte, schon im Schulchor mit, Kantaten von Orff und Hindemith, wußte nun auch, was das meinte, >nach Bach< und >nach Buxtehudes Einmal, wir hatten die Mutter aus dem Haus gehen sehen, versuchte ich noch einmal, ein Stück von Orff vom Blatt zu spielen. Doch als hätten die Schwingungen der Luft ihr die Unbotmäßigkeitenhintertragen, stand sie kurz darauf in der Tür, gerade als Honigmüller mir ein paar Griffe als Begleitung in den Bässen zeigen wollte, und schrie: Dat soll de Lindenwirtin sin? In zwei Woche hät der Opa Jebootsdaach!
Was auch immer ich nach diesem Auftritt tat, wo auch immer ich ging und stand, >Lindenwirtin, du juhungge< war dabei. Sie fuhr in mich hinein wie der Teufel. >Angetahan hat's mir der Wein. Lindenwirtin, du juunge, Lindenwirtin, du junngge<, quetschebüggelte es in meinem Kopf ohne Rast und Ruh. Samstag war der Geburtstag. Freitag kam Honigmüller, und ich spielte zum ersten Mal ohne Fehler.
Die Bänke standen im Hof hinter der großen Scheune, da, wo ich den falschen Großvater um eine Geige gebeten hatte. Aufgestellt in Hufeisenform wie am Madepohl. Man feierte schon seit dem Hochamt, hatte gemeinsam zu Mittag gegessen, fette, schwere Speisen und zur Verdauung Bier und Schnaps. Der Wind kam vom Westen und wehte von Zeit zu Zeit den Geruch des Plumpsklos herüber, das dem Ansturm nicht gewachsen war. Mit uns trafen noch andere, entfernter wohnende Verwandte ein, die aus Gronz und aus Ronningen, aus Erpenbach und Olberath, sogar die Tante aus der Eifel wurde erwartet. Zum Kaffeetrinken wurde neu gedeckt. Die Männer vom Bauernverein, die Schützenbrüder und ihre Frauen erhoben sich schwerfällig und machten uns Platz, rückten ans untere Ende der Bänke. In der Mitte des Hufeisens unter einer ans Scheunentor genagelten, silbernen, mit Birkenlaub umkränzten >Siebzig< saß der falsche Großvater, kerzengerade, die Hände, wenn er sie nicht zum Essen oder Schütteln gebrauchte, exakt auf den Armlehnen abgelegt, die Füße unterm Tisch korrekt nebeneinandergestellt. So ausgerichtet, herrschte er mit kaum wahrnehmbaren Bewegungen seiner enzianblauen Augen über die Schar seiner Gäste, und sobald etwas fehlte, schnarrte er meine Cousine an - die, von der ich den Quetschebüggel hatte -, sich um Kaffee und Kuchen zu kümmern. Gerti arbeitete seit Ostern auf dem Hof, so wie zuvor, nur fingen ihre Tage jetzt schon morgens um fünf an und nicht erst nach der Schule. Ich selbst saß ziemlich weit oben an einem der schweren Tische, die man aus dem Haus und denen der Nach-barn zusammengerückt hatte. Nur der Großvater hätte sich in seinem bequemen Sessel anlehnen können. Ich hielt mich aufrecht wie er. In meinem Rücken lauerte der Quetschebüggel.
Vertreter des Bauernvereins, Kirchenvorständler und Schützenbrüder kamen und gingen, jedesmal wurde angestoßen, was bei denen, die seit dem Hochamt dabei waren, allmählich Wirkung zeigte. Gläschen mit roten, blauen, grünen Likören blitzten, Spezialität Kakao mit Nuß, Kuchengabeln gruben sich in Buttercremetorten, zwiebelmustrige Kaffeetassen hoben und senkten sich in den Händen der Frauen, der kleine Finger vornehm abgespreizt.
Auch Onkel Männ war gekommen, mit dem Fahrrad aus Ron- derskirchen. Alles an Onkel Männ war krumm. Die Beine, der Rücken, die Arme und das, was in seinem Kopf war. Jeder wußte, Onkel Männ war plemplem, aber harmlos. Nur für die Arbeit gemacht. Er hatte einen zahnlosen Mund, der in Richtung der Füße zeigte, und große, narbige Hände, geschundene Hände, gezeichnet vom
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