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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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als gute Gabe Gottes mit goldener Gabel und gutem Gebiß zu genießen.
    Sehr schön Doris, setzen. Schlagt die Hefte auf. Fräulein Abendgold diktierte, und ich war wieder in meinem Element. Bei den stillen Wörtern. Sie allein hatten die Macht, die wirklichen Dinge zum Verschwinden zu bringen, Dinge nach meinem Bilde zu schaffen, mich vor den wirklichen Dingen zu schützen. In dieser lautlosen Welt war ich allein und doch mit anderen. Auf dem Papier gab es keinen Unterschied zwischen isch und ich, Kirche und Kiresche. Las ich, wurde ich eine von denen, die in den Büchern sprachen, hatte nichts mehr zu schaffen mitdem Mädchen aus der Altstraße zwei und erst recht nicht mit dessen Beherrschern. Aber die Wörter wollten mehr. Wollten nicht nur richtig geschrieben und gelesen werden. Sie wollten gesprochen sein, richtig gesprochen, schön gesprochen.
    Ich fühlte mich im Stich gelassen. Mein Fluchtweg aus der Wirklichkeit behindert, beinah verstellt. Es gelang mir kaum noch, Sätze zu lesen, Sinn zu erfassen, so sehr biß ich mich an den Wörtern fest. Jedes ich, mich, dich, jedes das und was hielt mich beim Schlafittchen, bis ich es laut aussprach. Laut und richtig. Ich stellte das Lesen ein. Ich stellte das Sprechen ein. Verzog mich, um meine Ruhe zu haben, weiterhin mit einem Buch hintern Hühnerstall und blickte trostlos und trotzig in die Lettern. Wäre nicht Doris an meiner Seite gesessen mit Plisseerock, Hochdeutsch und Bolero, ich hätte mich mit der stummen Seite der Sprache, der Schrift, für immer begnügt.
    Um mit Doris zu sprechen, wie Doris sprach, schlich ich mich, nachdem ich am Küchentisch meine Hausarbeiten erledigt hatte, statt hinter den Hühnerstall, wo man mich hätte hören können, auf den Speicher. Klemmte die >Silberdistel< in den Rockbund, stemmte mit beiden Händen die Falltür zum Dachboden auf und klappte sie vorsichtig wieder hinunter. Zwischen Stühlen ohne Sitzpolster, einer abgestoßenen Truhe, randvoll mit Michaelskalendern, Gereonsblättern und Zeitschriften des Frauenvereins, zwischen ausrangierten Nachttöpfen und Pappkartons stand ein leerer Kleiderschrank, gebaut wie ein Flügelaltar. Ich hockte mich in die Mitte und las. Wort für Wort. Buchstabe für Buchstabe. Als müßte ich es noch einmal lernen. So, wie ich es von Fräulein Abendgold, von Doris, vom Radio meinen Ohren einzuprägen versuchte. Sommerhitze brannte. Die Luft unter den Dachziegeln glühte.
    Annette von Droste-Hülshoff, las ich. >Der Knabe im Moor<. >0 schaurige hier stockte ich schon. Was machte man mit einem solchen >-ig-ick< oder >-ichschauerisch<. >Ist's, übers Moor zu gehen«. Achtung: >zu< und nicht >zo<. >Gehen< nicht >jehjen<. Noch einmal: >0 schaurich ist's, übers Moor zu gehen<. Weiter: >Wenn es wimmelt vom Heiderauche.< >Wimmelt11< von
    Doris, aber meine rheinische Zunge entwischte immer wieder nach hinten, an den Gaumen, nach >Kölln<. Ich zwang sie nach vorn. Wieder und wieder nach vorn. >Wimmelt<. >Heiderauche<. Schnell und präzise zu sprechen, nicht >Heijedärajuchä<. Das >e< nur angedeutet. Die richtige Mischung finden zwischen Präzision und Andeutung. >Sich<: ein böses Wort wie >ich, mich, dich<. >Wie Phantome die Dünste<... Achtung: nicht >Dünestedrehn / Und die Ranke häkelt.. .< Achtung, >1< an die Zähne, >... am Strauches schnell sprechen, nicht: >Strauechä<. >Unter jedem Tritte ein Quellchen!!! springt / Wenn aus der Spalte! es zischt.. .< Achtung, hier darf, hier muß nun wirklich >gezischt< werden, es >zieht< nicht, es >zischt0 schaurig! ist's, übers Moor...Moojä< - >... zu! gehn! / Wenn das Röhricht! knistert im Hauches
    Noch einmal. Schweiß färbte die hellblauen Windmühlen meines Baumwollkleides unter den Achseln dunkel. Ich las wieder so wie vor Jahren, als ich mir das Lesen beigebracht hatte, ohne Rücksicht auf die Bedeutung der einzelnen Wörter oder ihres Zusammenhangs. Und doch war es diesmal anders. Ich nahm die Wörter in den Mund wie Gegenstände. Ich betastete sie, schaffte ihnen Raum zwischen Zunge und Zäpfchen, Gaumen und Zähnen bis in den Rachen hinunter, wies den Buchstaben ihren Platz an, nahm Kiefer und Lippen in Pflicht und Kür. Nichts verstand sich mehr von selbst. Mir war der Schnabel nicht hold gewachsen. Ich bog ihn zurecht.
    Je öfter ich die Strophen laut

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