Das verborgene Wort
Die Innenfläche, von einer Schmutzkruste überzogen, schimmerte schwärzlich, blank wie poliert. Tach, sagte sie noch einmal und ruckte die Hand mit einer Bewegung aus dem Schultergelenk weiter nach vorn. Ihre Züge, die ich als scharf geschnitten, beinah kühn in Erinnerung hatte, wären da nicht die engstehenden Augen und die niedere Stirn gewesen, die das Gesicht mitunter tückisch erscheinen ließen, diese Gesichtszüge hatten sich merkwürdig verändert, waren breit und weich geworden. Ihre einstmals flinke, drahtige Gestalt duckte sich unbeholfen unter dem Tuch. Diese Katti flößte niemandem mehr Angst ein. Ich ergriff die Hand als Krönung meiner Mutprobe. Sie fühlte sich wie die ledern warme Unterseite einer Katzenpfote an. Den Blick, mit dem Katti meine Augen suchte, kannte ich nur zu gut. Mit demselben Ausdruck aus Verlangen und Trotz, Haß und Verachtung schaute ich in den Park des Prinzipals. Als wollte ich sie nie wieder loslassen, schüttelte ich Kattis Hand, als könnte ich alle Verachtung, allen Haß ein für allemal herausschütteln aus meinem und ihrem
Blick. Bis warmer Schweiß durch die schmutzverstopften Poren brach und ich meine Hand gewaltsam aus der ihren riß. Beinah widerstandslos glitschte sie ins Freie.
Schluß jitz. Der Mann am Tisch erhob sich, torkelte auf uns zu. Seine nackten Beine steckten in verdreckten Straßenschuhen ohne Schnürsenkel. Er hatte den obersten Knopf nun geschlossen. Unten klafften die Mantelteile auseinander und machten ein rotblaues Gekröse sichtbar, eine furchtbare Geschwulst oder Verletzung. Ich floh.
Katti, du blievs he, hörte ich noch seine Stimme, als ich schon die Tür hinter mir zugeschlagen hatte und hinausstolperte. Die kalte Luft traf mich wie der Schlag, mit dem man Bewußtlose zu sich bringt. Es war dunkel geworden. Die nächste Laterne stand erst da, wo das wirkliche Dorf anfing. Ich rannte los, durch den Matsch, durch die Pfützen. Flüchtig schoß mir der Gedanke an meine guten, gelben Schuhe durch den Kopf. Egal. Ich wollte nach Hause. In die Küche, wo die Großmutter jetzt für den Abend das Graubrot schnitt, die Mutter den Schinken aus Rüpp- rich hauchdünn schnitzelte, damit wir lange etwas davon hätten, wo der Bruder am Küchentisch saß und sich an seinem Malkasten freute. Auch er ging seit kurzem op de Scholl. Seine Schwester hatte gezeigt, daß es ging, und seine Patentante zahlte das Schulgeld. För dä Jong.
Mein Besuch bei den Kackallers blieb im Dorf nicht lange verborgen. Do schecke die dat Blaach op de hühere Scholl, un dann lööf dat bei de Müppe. Kurz darauf erfuhr ich, daß Katti ein Kind kriegte. Und der Vater war der Vater, munkelte man wohlig entsetzt. In meinen Ohren klang es wie Zauberei. Und der Vater war der Vater. Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist. Drei Personen in einer. Gott von Gott, Licht vom Lichte. Geboren aus Maria der Jungfrau. Und der Vater war der Vater. Später stellte sich heraus, daß es der Bruder war.
Hanni liebte Ferdi. Das wußte ich, seit sie mir bei den Zigeunern entgegengestürzt war. Auch Ferdi war ein Müpp. Das hätte man zur Not noch hingenommen. Die aus der kalten Heimat, fleißig,bescheiden und ordentlich, verwurzelten sich von Jahr zu Jahr fester in der Gemeinde. Ferdi, so Hannis Mutter, hatte sogar schon wieder jet an de Föß. Die Frau von Henkels Pitter hatte dem hübschen Burschen mit den roten Backen in ihrem Friseursalon alle Rechte des an der Ostfront vermißten Hausherrn eingeräumt.
Ferdi war auf dem Sprung vom Müpp zum Dondorfer. Aber er war evangelisch. Schlimmer als vorbestraft. Vorbestrafte konnten büßen und sühnen. Evangelisch blieb evangelisch. Du flüschs direck us dä Kersch, sagte die Tante, Hannis Mutter.
Ex ko mu ni ziert, stieß die Großmutter Silbe für Silbe hervor. Ferdi war ein Teufel, den es auszutreiben galt.
Denk an die Schand, sagte die Mutter. Nie mieh an de Kum- melejonsbank. Sujar an huhe Fierdaach nit.*
Un wenn de stirvst, bes du im Stande der Todsünde, dozierte die Großmutter. Un dann jib et kein Pardong. Do küss de en de Holl un nit mieh rus.
Hanni blieb fest. Tapfere Hanni. Das war Liebe. Gerade hatte ich die Ballade von einem Türkenmädchen gelesen, das mit zwei Worten übers Meer wandert, bis sie ihren >Gilbert< in >London< findet. Das Rattern der Webstühle verfolge sie bis in den Schlaf, erzählte Hanni. Sie stand im Akkord, es brachte mehr Geld.
Hilla wells de heeschen, hatte sie gelacht. Hilla, dat jefällt mer. Dat
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