Das verbotene Eden 01 - David & Juna
abzuwarten, um eventuelle Späher zu täuschen. Nichts wäre schlimmer, als wenn der Inquisitor von ihren Plänen Wind bekäme. Sie würden also erst am Abend losreiten und kurz vor der Grenze ein Nachtlager aufschlagen. Bis zur Raffinerie war es dann noch ein halber Tagesritt.
Natürlich war Juna zuerst zu Gwen geeilt und hatte ihr freudestrahlend von ihrer Ernennung erzählt. Doch ihre Freundin hatte enttäuscht reagiert. Gwen war noch nie begeistert von Junas Leben gewesen. Umso verwunderlicher, dass sie bereits so lange zusammen waren. Mittlerweile fast zwei Jahre. Doch ihr Verhältnis war momentan nicht das beste. Gwen hatte das Gefühl, Juna würde ihr nicht genügend Aufmerksamkeit schenken; Juna wiederum spürte, dass ihr die Enge dieser Beziehung die Luft zum Atmen nahm. Sie war es gewohnt, allein zu entscheiden, doch nach ihrem Einzug bei Gwen ging das nicht mehr. So schön es war, abends heimzukommen und ein warmes Haus und eine liebevolle Freundin vorzufinden, an manchen Tagen hatte sie das Gefühl, in einem Käfig zu leben, eingesperrt wie ein wildes Tier. Dann sehnte sie sich wieder nach der Einsamkeit der Wälder, nach der Sonne auf ihrer Haut und dem Wind in ihrem Haar. Gwen konnte das nicht verstehen. Sie ließ sich gerade zur Heilerin ausbilden und genoss die Gesellschaft von Menschen. Für sie gehörte es zu einer Partnerschaft, möglichst viel Zeit miteinander zu verbringen, Freud und Leid miteinander zu teilen, abends zusammen einzuschlafen und morgens Arm in Arm aufzuwachen. Es war absehbar, dass ihre Beziehung schwierig werden würde.
Juna hatte sich mit der Ausrede, sie müsse noch Proviant besorgen, davongestohlen; sie hatte zu Pfeil und Bogen gegriffen und war in die Wildnis aufgebrochen. Hier konnte sie in Ruhe über ihre Gefühle nachdenken.
Sie hob den Kopf und lauschte. Wie einsam und still es hier war. Niemand da, der einen mit irgendwelchen Belanglosigkeiten zutextete. Nur sie und die scheuen Geschöpfe des Waldes.
Die Nachmittagssonne warf schräge Strahlen durch das Dickicht und zauberte eine Stimmung, die an das Land der Sagen und Legenden erinnerte. Juna richtete ihre Konzentration wieder auf ihre Beute, doch das braune Fell und die weißen Punkte waren verschwunden. Das Reh war fort.
Mist!
Leise und vorsichtig schlich sie näher. Ihre Lederschuhe hinterließen nicht das geringste Geräusch auf dem weichen Waldboden. Als sie die Stelle erreichte, wo das Tier gestanden hatte, ging sie in die Hocke. Das Laub war an einer Stelle leicht verrutscht. Direkt daneben lagen ein paar kleine dunkle Kügelchen. Sie waren noch warm.
Vielleicht hatte das Reh doch etwas gehört. Oder der Wind hatte ungünstig gestanden und ihre Witterung hinübergeweht. Weit konnte es nicht sein, Juna hätte seine Flucht bemerkt. Ganz langsam stand sie wieder auf. Der Griff des Bogens lag geschmeidig in ihrer Hand, die Sehne summte erwartungsvoll. Das Tier war hier irgendwo, das spürte Juna. Vorsichtig spähte sie in die Runde. Die Geräusche wurden leiser. Ganz so, als hielte der Wald selbst den Atem an.
Ein leises Rascheln. Ein Zweig bewegte sich, ein Blatt fiel.
Da war es! Etwa fünfzehn Meter vor ihr auf dem leicht abschüssigen Hang. Nur zu erkennen an den schlanken Läufen und den schwarzen Augen, die durch das Blattwerk schimmerten.
Das Reh sah genau in ihre Richtung. Vermutlich beobachtete es sie. Doch diesmal stand der Wind günstig für Juna.
Sie hob den Bogen, zog die Sehne mit zwei Fingern bis ans Kinn und blickte den Pfeil entlang bis zur Spitze. Das Holz gab ein leises Knarren von sich. Noch immer schaute das Reh zu ihr herüber. Es schien unschlüssig, was es von der Situation halten sollte. Juna bereitete sich innerlich auf den Schuss vor. Ein meditativer Vorgang, der beinahe an eine Trance erinnerte. Sie hätte das Tier jetzt sogar mit geschlossenen Augen getroffen. Sie atmete tief ein und hielt die Luft an. Obwohl sie das Tier nur als kleinen Ausschnitt sah, entstand vor ihrem geistigen Auge ein Bild. Kopf, Hals, Brust, Vorder- und Hinterläufe, Rücken und Bauchregion. Die Spitze des Pfeils deutete genau auf die Stelle, wo das Schulterblatt saß. Dahinter lagen Herz, Lunge, Arterien. Ein schneller und gnädiger Tod. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte sie, ob sie das Tier wirklich töten sollte. Eigentlich bestand keine Notwendigkeit, Proviant hatte sie genug, aber es wäre natürlich schön, ein wenig Frischfleisch dabeizuhaben. Sie konnte es heute Abend am Lagerfeuer
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