Das verbotene Eden 01 - David & Juna
zusammen. Er ist wie ein Sohn für mich.« Er schenkte Amon einen liebevollen Blick, wenn das bei ihm überhaupt möglich war, und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
»Ich bin sicher, dass viele Gerüchte über mich im Umlauf sind. Gerüchte darüber, woher ich stamme, was ich früher getan habe und wie es zu meiner Entstellung kam. Das meiste dürften haltlose Spekulationen sein, deshalb möchte ich ein paar Dinge klarstellen. Tatsache ist, ich war kaum älter als du, als ich der Heiligen Lanze zugeteilt wurde. Ich war jung, ich war stark, und ich verfügte über genügend Ehrgeiz, um die harten Prüfungen mit Auszeichnung zu bestehen. Ebenso wie mein Freund Claudius, mit dem ich die schönste Zeit meiner Kindheit verbracht hatte. Wir beide waren unzertrennlich, wie Pech und Schwefel, genau wie Amon und du. Claudius war der Gebildetere von uns beiden. Er verfügte über umfangreiches Wissen in den schönen Künsten und der Literatur, doch war er ebenso bewandert im Umgang mit Waffen und in den Techniken der Selbstverteidigung. Ich stand immer in seinem Schatten, doch ich litt nicht darunter, im Gegenteil. Sein Vorbild war für mich stets ein Ansporn.« Er lächelte. »Claudius meldete sich als Erster zur Heiligen Lanze. Erst später wurde mir klar, warum er dies getan hatte. Es ging ihm nicht um Krieg. Er hatte auch kein Interesse an Landernten, Schandkreisen oder Hexenverfolgung, alles Dinge übrigens, die es damals in dieser Form noch nicht gab. Nein, er suchte das Abenteuer. Er wollte das Land kennenlernen und seine Geheimnisse enthüllen. Er suchte nach Antworten auf die Frage, wie es zu dem Unglück gekommen war. Er wollte wissen, wie die Welt ausgesehen haben mochte, ehe sie des Teufels schwefeliger Atem verpestet hatte. So gesehen war er ein echter Entdecker. Meine Bewunderung für ihn war grenzenlos. Auf einem Einsatz in den wilden Landen gerieten wir in einen Hinterhalt. Wir wurden gestellt, aufgerieben und vernichtend geschlagen. Claudius wurde vor meinen Augen niedergeprügelt, gefesselt und als Gefangener abtransportiert. Ich selbst konnte mich nur mit Mühe retten. Trotz meiner Verletzungen gelang es mir, mich ins Kloster zurückzuschleppen, wo meine Wunden verarztet wurden. Die schlimmste Wunde aber konnte nicht geheilt werden: die Frage nach dem Verbleib meines Freundes. Ich konnte nicht erkennen, warum man uns so behandelt hatte, denn wir hatten uns völlig harmlos verhalten. Damals erfuhr ich am eigenen Leib, dass die Hexen durch und durch böse sind und dass kein Gesetz der Welt sie je dazu bringen kann, ihrer schwarzen Seele zu entsagen. Worte nützen nichts. Feuer und Stahl – das ist die einzige Sprache, die sie verstehen.«
»Und euer Freund?«
Der Inquisitor hustete. »Ich habe lange versucht, ihn wiederzufinden. Immer wieder bin ich in die wilden Lande geritten, in der Hoffnung, ein Lebenszeichen von ihm zu entdecken. Eine Fährte, eine Spur, einen Hinweis, möge er noch so klein sein. Ohne Erfolg. Der damalige Inquisitor gab die Suche auf und ermahnte mich, Abschied von meinem Freund zu nehmen. Er sagte, die Hexen machten keine Gefangenen. Sie folterten ihre Opfer, sie quälten sie, dann raubten sie ihnen ihr Leben. Noch nie sei einer von uns unversehrt aus ihrem Reich zurückgekehrt. Doch ich wollte nicht auf seinen Rat hören und zog weiterhin auf eigene Faust los.« Seine Stimme wurde leise. »Bei einer dieser Suchaktionen wurde ich gefangen genommen und in ein Haus gesperrt. Ich hörte, wie sie sich an meinem Motorrad zu schaffen machten, dann roch ich Benzin. Im nächsten Moment stand das Haus in Flammen. Die Wände, der Dachstuhl, der Boden, alles brannte. Irgendwann fingen meine Kleider Feuer. Ich sprach ein letztes Gebet und machte meinen Frieden mit Gott. Plötzlich öffnete sich die Tür, und ein Engel erschien. Er sah aus wie Claudius, doch er trug Flügel auf dem Rücken und hielt ein flammendes Schwert in der Hand. Er packte mich, zog mich aus dem Feuer und übergoss mich mit Wasser. Ich wurde ohnmächtig. Als ich wieder erwachte, war ich zurück in der Obhut des Klosters.«
»Das klingt fast wie ein Wunder«, sagte David.
Marcus Capistranus nickte. »Das war es in der Tat. Und mehr als das; es war ein Zeichen des Herrn. In den folgenden Monaten, während meiner langen Phase der Heilung, hatte ich viel Zeit, um mir über die Bedeutung der wundersamen Rettung Gedanken zu machen. Und ich kam immer wieder zu demselben Ergebnis: Unser strenger Vater wollte mich zu
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