Das verbotene Eden 02 - Logan & Gwen
ünktlich um neun setzten die Gesänge ein. Dunkel und melancholisch stiegen die Stimmen der Gläubigen zum Dach des Tempels empor und dann hinaus in die Welt. Es wurde berichtet, dass es Tage gab, an denen die Gesänge über Kilometer hinweg zu hören waren, selbst außerhalb von Glânmor.
Während sie die Stufen zum Tempel emporschritt, überkam Gwen wieder dieses Gefühl des Verlorenseins. Die goldenen Flanken des Tempels, auf denen das Licht der untergehenden Sonne schimmerte, wirkten seltsam fern. Wie ein Tor in eine fremde Welt, zu der sie keinen Zugang hatte.
Sie nahm die letzten Stufen und betrat den mit Bäumen gesäumten Vorplatz des Tempels. Auf den steinernen Bänken saßen etliche Frauen, die mit geschlossenen Augen dem Gesang aus der großen Halle lauschten. Manche unterhielten sich leise, andere blickten hinaus auf das weite Land und beobachteten, wie blaue Schatten die Täler überfluteten. Gwen setzte sich neben sie, faltete die Hände und wartete auf das Ende des Gottesdienstes.
Nicht lange, und der Gesang steuerte seinem Höhepunkt entgegen. Ein paar einzelne Stimmen erhoben sich, dann ebbte der Choral ab und verhallte. Schweigen legte sich über den heiligen Berg.
Gwen hörte Stühlerücken, die Flügeltüren wurden geöffnet. Zoe, die Dienerin der Hohepriesterin, ließ ihren Blick schweifen und entdeckte Gwen auf der Steinbank. Sie winkte ihr zu.
Gwen stand auf und ging an den herausströmenden Gläubigen vorbei ins Innere des Tempels. Der Geruch von Weihrauch und Myrrhe umfing sie.
Es war lange her, dass sie hier gebetet hatte. Nicht, weil sie vom Glauben abgefallen war, sondern weil sie dabei lieber allein war. Sie brauchte keine aufwendige Umgebung. Ihr reichten zwei kleine tönerne Statuen, ein weicher Boden und ein Moment der Ruhe. Dann konnte sie Kraft und Energie tanken und mit sich und der Welt ins Reine kommen.
Zoe begrüßte Gwen mit einem Lächeln. »Arkana erwartet dich bereits. Bitte folge mir.«
Gwen mochte Zoe. Die Dienerin war eine kleine Frau mit kurzen Haaren und energischem Wesen. Schwer einzuschätzen, wie alt sie war, aber Gwen vermutete, dass sie nur wenig älter als sie selbst war. Sie trug ein schmuckloses, weißes Gewand und ebenso schmucklose Sandalen. Alles an ihr machte den Eindruck, dass sie weltlichen Dingen eher abgeneigt war. Was auffiel, waren die Tätowierungen an ihrem Hals: ein Spinnrad, ein Webstuhl und eine Schere, die Symbole der drei Göttinnen. Sie waren so anmutig gezeichnet, dass sie auf den ersten Blick wie eine Halskette aussahen.
Am hinteren Ende der Halle konnte Gwen die Hohepriesterin erkennen. Ihr Oberkörper war nackt. Um die Taille hatte sie ein einfaches Tuch geschwungen, das bis hinunter zu den nackten Füßen reichte. Auf ihrem Kopf ruhte ein goldener Stirnreif; Schultern, Hals und Brüste waren mit Öl gesalbt worden und glänzten im Schein der Feuer.
Als Arkana ihren Besuch bemerkte, beendete sie ihre Arbeit am Altar. Gwen fiel vor der Priesterin auf die Knie und breitete die Arme aus. »Herrin.«
»Steh auf, Gwen. Ich habe mit dir zu reden. Hast du Lust, mir beim Einsammeln der Opfergaben zu helfen?« Arkana war trotz ihres Alters noch immer sehr attraktiv. Lange blonde Haare, eine hohe Stirn und sanft geschwungene Lippen. Ihre Augen waren dunkel geschminkt und leuchteten in einem strahlenden Grün – genau wie die von Juna. »Wir brauchen dich dann nicht mehr, Zoe. Du darfst dich zurückziehen.«
Die Dienerin verneigte sich und verließ die Halle durch die Seitentür. Arkana wartete, bis sie allein waren, dann sagte sie: »Dann hat Magda dir also meine Botschaft ausgerichtet?«
Gwen nickte. »Ich war überrascht.«
»Warum?«
»Nun, weil ich …« Gwen zögerte. Sie wägte ihre Worte genau ab. Auf keinen Fall wollte sie die Hohepriesterin verärgern. »Nun, ich hatte nicht den Eindruck, dass Euch viel daran gelegen wäre, mich zu sehen. Ich hatte es schon oft versucht, wurde aber jedes Mal abgewiesen.«
Arkana reichte Gwen einen geflochtenen Weidenkorb, in den sie die Blumen, Ähren, Tierfelle und sonstigen Opfergaben legte. »Hier, halt mal.« Sie fing an, die Opfergaben einzusammeln.
»Du hast recht. Aber es gab einen Grund, warum ich dich nicht vorgelassen habe. Genauer gesagt zwei. Erstens war ich der Meinung, dass es mich nichts angeht, was zwischen dir und Juna vorgefallen ist; zweitens konnte ich nichts über ihren Verbleib in Erfahrung bringen. Was hätte ich dir also sagen sollen?«
Gwen schaute die Priesterin
Weitere Kostenlose Bücher