Das verbotene Eden: Magda und Ben: Roman (German Edition)
gab es in westlicher Richtung ein Refugium, das als sicher erachtet wurde und wo sie in Ruhe und ungestört leben konnten. Von einem See war die Rede. Einem Berg innerhalb des Sees und von weit ausladenden, fruchtbaren Hängen, auf denen Tiere gehalten und Feldfrüchte angebaut werden konnten. Das klang fast zu schön, um wahr zu sein. Magda hoffte, dass es nicht nur eine Geschichte war, um die Moral zu festigen. Doch selbst wenn es nur ein frommes Märchen war, so gab es doch keine Alternative für die Frauen. Die Städte waren nicht länger ihr Zuhause. Nach dem, was vorgefallen war, was sie ihren Männern angetan hatten, konnten sie unmöglich dort bleiben. Der Raum war zu begrenzt, um zwei rivalisierenden Gruppen Nahrung und Unterschlupf zu gewähren. Als der Ruf laut geworden war, hinaus aufs Land zu ziehen und dort eine neue Existenz aufzubauen, hatte es für Magda kein Halten mehr gegeben. In Windeseile hatte sie ihre Sachen gepackt, alles hinter sich gelassen und binnen einer einzigen Stunde ein neues Leben begonnen. Die Entschlossenheit dazu kam aus ihrem Inneren. Sie wusste selbst nicht, wie sie es beschreiben sollte, aber es war etwas, das sie unerbittlich antrieb. Ein innerer Mechanismus, oder besser noch eine Kraft, von der sie vorher noch nicht mal geahnt hatte, dass sie existierte, und die dafür sorgte, dass sie jedes Leid ertrug, jede Strapaze überstand und keinen Gedanken an das Zurückliegende verschwendete. Und das stimmte nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinn. Häuser, Orte, Plätze lagen genauso hinter ihr wie Menschen, Begegnungen und Erlebnisse. Es war ein vollkommener Schnitt mit ihrem vergangenen Leben – ohne jede Ausnahme – und hatte unbestreitbar etwas mit den chemischen und biologischen Veränderungen in ihrem Körper zu tun. Was sie selbst niemals für möglich gehalten hätte, war tatsächlich eingetreten. Sie war binnen weniger Tage eine andere geworden. Ein neuer Mensch, eine fremde Magda.
Doch dadurch, dass es allen anderen um sie herum ebenso erging, fühlte sie sich nicht wie ein Außenseiter. Im Gegenteil. Sie war Teil einer Gemeinschaft geworden. Einer neuen Gemeinschaft. Einer Vereinigung von Frauen, die ihr Heil und ihre Zukunft fernab der Männer in einem neuen Land suchten. Mit eigenen Regeln, eigenen Gesetzen und einer eigenen Kultur.
Magda hob den Kopf und schärfte den Blick. Vor ihr, etwa zweihundert Meter voraus, hatte sich ein kleiner Menschenauflauf gebildet. Es mochten so um die zwanzig, dreißig Frauen sein, die im Halbkreis unter einer Linde standen und lautstark miteinander redeten. Irgendetwas schien passiert zu sein. Magda sah einen Handkarren seitlich im Graben liegen, der gesamte Inhalt rundherum im Gras verteilt.
Als sie näher kam, hörte sie laute Stimmen. Die versammelten Frauen schienen sich über irgendetwas furchtbar aufzuregen.
»… unverantwortlich, in ihrem Zustand mit einem solch schweren Karren loszuziehen«, wehten Gesprächsfetzen zu ihr herüber. »Warum hat ihr denn niemand geholfen?«
»Niemand hat bemerkt, dass sie schwanger ist«, erwiderte eine andere Frau. »Die Habseligkeiten haben wir doch im Nu aufgesammelt. Von mir aus übernehme ich einen Teil der Strecke. Das Problem sind die vorzeitigen Wehen. Ich habe keine Erfahrung im Kinderkriegen.«
»Kennt sich hier jemand mit Geburtshilfe aus?«, rief eine der Frauen. »Wir benötigen eine Hebamme.«
Magda schob sich nach vorne. Unter dem Baum stand eine junge Frau, die Hände gegen den Stamm gestützt. Ihr Gesicht war schweißüberströmt. Magda trat näher. »Ich habe bis vor kurzem als Praktikantin in einem Krankenhaus gearbeitet«, sagte sie. »Dabei habe ich auch einige Wochen in der Geburtsstation verbracht.«
»Dann kannst du unserer Schwester vielleicht helfen.« Die Frau, die da sprach, war eine hochgewachsene Mittvierzigerin mit dunkelroten Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug. Sie nahm Magda bei der Hand und führte sie hinüber zu der jungen Frau.
»Hallo, mein Name ist Magda. Ich habe gehört, dass dein Baby kommt. Vielleicht kann ich dir helfen.«
»Ja?«
»Nun … möglicherweise. Weißt du, so schwierig ist das gar nicht. Babys kommen jeden Tag zur Welt. Es ist die natürlichste Sache, die man sich vorstellen kann.«
»Ehrlich?« In den Augen der jungen Frau leuchtete ein Hoffnungsschimmer. Magda betrachtete sie. Sie war älter als sie selbst, vielleicht zwanzig oder einundzwanzig, aber ihre Angst ließ sie wie
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