Das verbotene Eden: Magda und Ben: Roman (German Edition)
Gedanken machte.
Noch ein paar Meter, und sie traten ins Licht. Benedikt atmete tief ein. Er hatte den Kanal gefunden.
Ruhig und friedlich lag das Gewässer im Sonnenlicht. Es sah aus wie gemalt: Umrahmt von einem breiten Gürtel aus vertrocknetem Schilf, glitzerte ein etwa fünfhundert Meter langer Wasserstreifen, über dessen Oberfläche Dutzende von Libellen tanzten. Gelbliches Sonnenlicht schimmerte auf dem Wasser, und im vertrocknenden Laub säuselte der Wind.
Was für ein herrlicher Herbsttag, vielleicht der letzte in diesem Jahr. Der Oktober war beinahe vorbei, und der November stand vor der Tür. Die dunkle Jahreszeit würde Kälte, Regen und Stille bringen. Allerdings brachte sie auch Kerzen, Lieder und Geschichten am Kaminfeuer. Und sie brachte das Weihnachtsfest, das seit jeher einen Höhepunkt im kirchlichen Jahr darstellte. Doch ob es dieses Jahr stattfinden würde, blieb abzuwarten. Dunkle Nachrichten waren an Benedikts Ohr gedrungen. Nachrichten vom Krieg.
Benedikt riss sich von dem Anblick los und setzte seinen Weg fort.
Die Hütte lag nur wenige Gehminuten von der Stelle entfernt, an der Benedikt auf den Kanal gestoßen war. Eine unscheinbare, von Efeu und wildem Wein überwucherte Waldarbeiterhütte. Sie stand hier, solange er sich erinnern konnte. Früher hatten er und Magda sich hier heimlich getroffen, hatten gepichelt und Zigaretten gequalmt. So lange, bis ihnen aufgefallen war, dass Küsse eigentlich viel besser schmeckten. Nach allem, was sich verändert hatte, war es unfassbar, dass diese Hütte immer noch stand. Schließlich bestand sie nur aus Holz, Nägeln und ein paar Bahnen Teerpappe. Viele Häuser in der Stadt waren inzwischen eingestürzt, und die waren wesentlich stabiler gebaut. Allerdings war die Hütte auch niemals mutwillig in Brand gesetzt oder mit Sprengstoff in die Luft gejagt worden. Sie war viel zu abgelegen und unbekannt, als dass sich irgendjemand dafür interessiert hätte. Außerdem hatte Benedikt über die Jahre hinweg etliches daran repariert und instand gesetzt. Neue Fenster, neue Türscharniere, ein neues Dach. Irgendwann hatte er eines seiner beiden heißgeliebten Grammophone aus dem Kloster hierhergebracht, damit er, wenn ihm nach Ruhe und Entspannung zumute war, Musik hören konnte. Er musste lächeln, wenn er sich an seinen ersten Versuch erinnerte, herkömmliche Vinyllangspielplatten auf diesem Grammophon abzuspielen. Nicht nur, dass die Musik schrecklich klang, die Nadel hatte auch in Minuten seine Platte zerstört. Eine Grammophonnadel ist nicht nur zehnmal dicker als die eines herkömmlichen Plattenspielers, obendrein ist ihr Auflagedruck um beinahe das Hundertfache höher. Auf einem echten, alten Grammophon dürfen ausschließlich Schellackplatten abgespielt werden, und die waren vor der Katastrophe schon eine Rarität. Es hatte ihn Jahre intensiver Suche gekostet, um in den Ruinen der alten Stadt die letzten Exemplare aufzutreiben. Zusammengesucht aus wohlhabenden Häusern, deren meist ältere Besitzer längst tot oder geflohen waren. Was er gefunden hatte, war ausschließlich Klassik: Symphonien, Opernarien, Chormusik. Ein ziemlicher Unterschied zu der Musik, die er damals gehört hatte. Aber was sollte er machen? Ohne Strom funktionierten die normalen Abspielgeräte nun mal nicht. Und über die Jahre war ihm die klassische Musik sehr ans Herz gewachsen.
Ja, ihn verbanden viele Erinnerungen mit dieser Hütte. Sie waren beide älter geworden, sie und er, aber noch stand sie, genau wie er. Wenn er irgendwann nicht mehr war, würde auch sie dann zerfallen und ihre Geheimnisse mit ins Grab nehmen?
»Arkana? Claudius? Seid ihr da? Ich bin’s, Ben.«
Beinahe umgehend ging die Tür auf, und Arkana trat heraus.
Wie immer sah sie wunderschön aus. Die blonden Haare hochgesteckt, das dunkle Kleid mit Bändern durchwirkt. Er konnte erkennen, dass sie gearbeitet hatte, denn ihre Haut war gerötet, und ihre Stirn glänzte.
Sie ging ihm entgegen und nahm ihn in den Arm. Sie tat es vorsichtig, denn sie wusste, dass er immer noch unter der Verletzung litt, die ihm Amon beigebracht hatte. Die Knochen wuchsen im Alter nun mal langsamer zusammen.
»Ben. Wie schön, dass du gekommen bist. Ich hatte dich nicht erwartet.«
Benedikt hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Ein zarter Lavendelduft stieg ihm in die Nase.
»Ich freue mich, dich zu sehen, Arkana. Hier, ich habe Proviant und Decken für euch mitgebracht. Die Tage werden kürzer, und in den Nächten könnte
Weitere Kostenlose Bücher