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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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Moment ist Mariamma ein bisschen lauter als sonst, und er weiß, dass jeder auf der Etage und sogar im Stockwerk unter ihnen sie hören kann. Wie immer merkt sie irgendwann, dass er sie anblickt. Sie wischt sich die Tränen ab und kichert kurz verlegen. Wie ein Ringer vor einem Ringkampf schlenkert sie mit den Armen und sagt: «Ich hab nur ein paar Gymnastikübungen gemacht, Thoma, mach dir keine Gedanken. Ich lass nur ein bisschen Dampf ab.» Sie schwingt jetzt die Arme auf und ab und marschiert wie ein Soldat. «Links, rechts, links, rechts», sagt sie, um ihn zum Lachen zu bringen. Dann lehnt sie sich an die Anrichte und lächelt schmeichlerisch. Wahrscheinlich möchte sie, dass er geht, damit sie noch mehr Dampf ablassen kann. Thoma beschließt, sie zum Lachen zu bringen. Würgende Angst überfällt ihn, denn das, was er tun will, ist riskant. Er hat es noch nie ausprobiert, aber schon oft daran gedacht.
    «Jesus sitzt mit seinen Jüngern beim letzten Abendmahl», beginnt er.
    «Was hast du gesagt, Thoma?»
    «Ein bestialischer Gestank hängt in der Luft. Jesus sieht ein wenig beunruhigt aus und sagt: ‹Einer unter euch wird mich heute verraten.›»
    Mariamma sucht etwas auf dem Boden. Thoma wundert sich, dass sie sich kein bisschen für seinen Witz interessiert.
    «Judas steht mit zugehaltener Nase auf und sagt: ‹Jesus war’s, Jesus war’s.›»
    Mariamma holt den Besen aus dem Spalt über der Gasflasche.
    «Hast du ihn nicht kapiert? – Jesus hat gefurzt, und Judas hat ihn verraten.»
    «Für wie doof hältst du mich, du miese kleine Ratte», sagt Mariamma und geht mit dem Besen auf ihn los.
    Er ergreift die Flucht und fragt sich, warum der Witz immer so lustig war, wenn Unni ihn erzählte. Mariamma rennt hinter ihm her und schreit: «Noch so ein idiotischer Gottesbeleidiger hat hier gerade noch gefehlt.»
    Thoma rennt ins Bad, schließt sich ein und schreit: «Ich wollte dich nur zum Lachen bringen.»
    «Lachen und weinen kann ich sehr gut allein. Weißt du das etwa nicht?»
    «Ich tu’s nicht wieder.»
    «Mach die Tür auf.»
    «Nein.»
    «Ich hab den Besen weggestellt.»
    «Nein.»
    «Du solltest dich jetzt hinter deine Bücher klemmen, Thoma. Deine Noten müssen dringend besser werden.»
    «Ich komm doch dauernd in allen Fächern durch, oder?»
    «Das reicht nicht, Thoma. Wirklich nicht. Du musst mindestens fünfundneunzig Prozent erreichen, sonst hast du in diesem Land keine Chance. Ich frag dich noch einmal: Möchtest du Schriftsteller werden?»
    «Nein.»
    «Wie sollen deine Noten besser werden, Thoma? Ich habe kein Geld für Privatunterricht. Ich kann dich zwar unterrichten, bin aber für Kinder keine gute Lehrerin.»
    «Wenn du mir was erklärst, verstehe ich überhaupt nichts.»
    «Was machen wir nur mit dir, Thoma? Komm erst mal aus dem Bad.»
    «Keine Sorge, ich leg mich ins Zeug.»
    «Thoma, ich hab mir gedacht, wir könnten vielleicht Mythili noch mal fragen.»
    «Auf keinen Fall. Seit Unni es getan hat, war sie nicht mehr bei uns. Sie ist genau wie die anderen geworden. Sie kann uns nicht mehr leiden.»
    «Sag so was nicht. Alle mögen uns doch.»
    An der Art, wie sie den Satz beendet, merkt Thoma, dass sie wahrscheinlich weint. Er fängt auch an, zu weinen. Beide stehen da, die abgeschlossene Badezimmertür zwischen sich, und weinen so leise wie möglich.
    «Warum hat Unni es nur getan?», fragt er. «Ausgerechnet Unni.»
    «Selbst ich stell mir diese Frage ununterbrochen. Warum ausgerechnet Unni.»
    Thoma schließt die Tür auf und kommt aus dem Bad. Er will bei seiner Mutter stehen und, ohne ihren Busen zu berühren, den Arm um sie legen, so, wie Unni sie immer umarmt hat. Aber Unni war groß und stark. Er konnte den Arm um sie legen und sie hochheben.
    «Wein doch nicht», sagt er.
    «Wein du auch nicht», sagt sie.
    «Ich wein ja gar nicht mehr.»
    «Dann wein ich auch nicht mehr.»
    «Was hat Vater bloß entdeckt? Alle sagen, er hätte etwas über Unni entdeckt. Er trifft jetzt wieder Unnis alte Freunde.»
    «Das hab ich auch gehört», sagt Mariamma. «Aber dein Vater hat mir noch nichts davon erzählt.»
    «Wieso sagt er uns nichts?»
    «Ich schätze, er sagt keinem etwas.»
    «Und wieso …»
    «Ich weiß es nicht. Aber irgendwann muss er’s mir sagen. Er will es mir sagen, wartet aber den richtigen Zeitpunkt ab.»
    «Und du weißt wirklich nicht, warum Unni es getan hat?»
    «Nein, Thoma. Ich weiß nicht, was an dem Tag in ihn gefahren ist.»
    «Alle sagen, er hätte viel

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