Das verbotene Glück der anderen
versinkt in den Banalitäten der Lokalberichterstattung. Er isst mit Polizisten in der Ausbildung, flüstert mit verärgerten Bürokraten, trinkt mit Bullen und Freunden. Er stopft seine Tage mit Arbeit voll, die er nicht zu tun bräuchte. Er geht zu Verbrechensschauplätzen, berichtet über endlose zweitklassige Kricketspiele, hört Vorträgevon Weltraumforschern, die ihr Hemd nie in die Hose stecken. Er geht sogar nach Koovagam, um über das jährliche Fest freundlicher Eunuchen zu schreiben, die zu Tausenden in sensationellen Glitzerhochzeitssaris Schlange stehen, um mit einem unbedeutenden Gott verheiratet zu werden und danach den Horden verzweifelter Männer, die das Fest besuchen, um für den göttlichen Bräutigam einzuspringen, die ganze Hochzeitsnacht hindurch freien Sex anzubieten, oder zumindest Sex mit Rabatt. Am nächsten Morgen werden aus den fröhlichen Bräuten wimmernde Witwen in weißen Saris, die ihre Armreifen zerbrechen und mit fest geschlossenen Augen beten, dass sie als vollständige Frauen wiedergeboren werden. Doch selbst sie sind glücklich, das kann Ousep sehen, sie sind viel glücklicher, als die Leute meinen. Alle sind glücklich, Unni, allen geht es gut.
Aus Langeweile und Respektlosigkeit fragt Ousep auf der Pressekonferenz des Ministerpräsidenten: «Sind Sie glücklich?» Der Ministerpräsident, ein gebrechlicher Dichter, der nie die Demütigung des Jungseins erdulden musste, ein Mann mit zwei lebenden Ehefrauen und mehreren wertlosen, sich zankenden Söhnen, ist verdutzt, aber nur kurz. «Ja, Ousep, ich bin glücklich, dass die indische Regierung alle militärischen Aktivitäten in Sri Lanka beendet hat und dass wir keinen Krieg gegen unsere tamilischen Brüder führen.»
Ousep trifft seine Freunde jetzt öfter. Bis weit nach Mitternacht sitzen sie in billigen Bars und singen gemeinsam Lieder über ihr eigenes Veralten und das nahende Ende eines bestimmten Männertyps, des heftig trinkenden, männlichen Schriftstellers. «Wir sind die letzten richtigen Männer, die Könige unserer Zeit, und unsere Geschichten werden nie erzählt werden.»
Doch sosehr er sich auch bemüht und alles Menschenmögliche tut, um seine Zeit mit Sinnlosem zu verstopfen, so geht er doch eines Morgens zur Liberty-Bushaltestelle, um Sai Shankarannoch einmal gegenüberzutreten. Irgendetwas erzählt ihm dieser Mistkerl nicht, und Ousep will seinen Widerstand brechen.
Sai tut wieder einmal so, als hätte er ihn nicht gesehen, doch sein unglückliches Gesicht spannt sich immer mehr an. Aus irgendeinem Grund warten heute Morgen mehr Menschen an der Bushaltestelle als sonst, und sie stehen bis auf die Straße. Eine gelbe Autorikscha hält schlingernd vor der Haltestelle, und der Fahrer sucht ohne große Überzeugung in der Menschenmenge nach jemandem, der vielleicht gern in seiner Rikscha säße. Sein Blick fällt auf ein bemerkenswertes junges Mädchen in einem dunkelgrünen Halbsari und mit geölten, geflochtenen Haaren, das vorne in der Menge steht und ergeben auf den Bus wartet. Der Autorikschafahrer starrt lächelnd auf ihren Busen, drückt langsam den Gummibalg seiner Handhupe und lacht. Sie drückt ihre Bücher an die Brust und wendet wie ein Spatz mit einer schnellen Kopfbewegung den Blick ab, genau wie Sai, wenn er Ousep sieht. Die Autorikscha fährt mit einem lachenden Mann davon.
«Hast du dir’s überlegt, Sai?», fragt Ousep. Schon wieder diese sinnlose Frage. Sai holt tief Atem. Wie erwartet, sagt er kein Wort. Er blickt in die Ferne. «Sai, du verschweigst mir etwas. Das weiß ich genau.»
Ousep holt die zusammengefalteten Seiten von
Wie soll man es nennen
aus der Hosentasche und hält sie Sai hin, der sie jedoch nicht entgegennimmt. Deshalb faltet Ousep die Seiten auseinander und hält sie Sai vor die Nase. «Das ist Unnis letzter Comic. Sagt dir das irgendwas?», fragt er ihn. Sai blickt kurz mit großen begriffsstutzigen Augen auf den Comic, reagiert jedoch nicht.
Ousep pirscht sich täglich an ihn heran, steigt mit ihm in denBus zum Loyola College und steht die ganze Zeit über dicht neben ihm. Wenn Sai nach dem College nach Hause geht, begleitet ihn Ousep. Doch Sai bewahrt immer sein unglückliches Schweigen. Am Abend des achten Tages seiner gnadenlosen Nachsteigerei passiert endlich etwas.
Ousep geht einen halben Meter hinter Sai. Der Junge ist auf dem Weg nach Hause. Sein Gang ist wie der eines langsamen Rindes. Er gehört zu den Menschen, die die Füße beim Gehen nach außen drehen,
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