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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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werden.»
    «Unni, möchtest du einen Kaffee?»
    Als sie wieder nach Hause kommt und gerade die Haustür aufmacht, hört sie das Telefon klingeln. Das ist ungewöhnlich, denn zu dieser Tageszeit klingelt das Telefon nie. Sie nimmt den Hörer ab, doch der Anrufer hat schon aufgelegt. Sie fragt sich, warum sie Angst hat. Thoma ist in der Schule. Was kann dort passiert sein? Ist er die Treppe hinuntergefallen? Hat ihm jemand mit einem Stechzirkel ins Auge gestoßen? Wieder klingelt das Telefon, und sie hebt hastig ab. «Hallo», sagt sie.
    Eine Männerstimme fragt: «Ist dort Mariamma Chacko?»
    Ob das der Anruf ist, den sie sich so oft gewünscht hat? Jetzt, da er Wirklichkeit wird, will sie ihn nicht mehr, sie will, dass er aufhört. In ihren schwachen Momenten hat sie zwar gebetet, dass dieser Anruf kommen möge, aber Gott ist doch bestimmt klug genug, um zu wissen, welche Gebete einer Frau er ernst nehmen soll.
    «Ist dort Mariamma Chacko?»
    «Ja.»
    «Hier ist das GG-Krankenhaus. Ousep Chacko hatte einen Herzinfarkt.»
    Es dauert einen Moment, bis sie etwas sagen kann. «Wie geht es ihm jetzt?», fragt sie.
    «Können Sie sofort ins GG kommen?»
    «Wie geht es ihm?»
    «Die Ärzte sind noch bei ihm.»
    «Wie geht es ihm?»
    «Ich weiß es nicht. Bitte kommen Sie sofort.»
    Nach dem Telefonat steht sie noch lange mit dem Hörer in der Hand da. Als sie ihm zum ersten Mal begegnete, tastete sie mit dem Finger über ihre Wange. Sie hatte eine rohe Bergmango gestreift, die einen Fleck in ihrem Gesicht hinterlassen hatte. Es würde einen Monat dauern, bis der Mangomilchfleck verschwunden war, und es war wirklich Pech, dass der schöne junge Mann, der zu ihr auf den Berg gekommen war und um ihre Hand anhalten wollte, ausgerechnet jetzt kam. Nicht, dass sie ihn auf den ersten Blick wunderbar gefunden hätte. In Wahrheit war sie enttäuscht. Er trug ein billiges Hemd mit ausgebeulten Taschen, die mit allem Möglichen vollgestopft waren, und Gummischlappen. Doch seinen Namen kannten damals alle in ihrem Dorf und wahrscheinlich jeder in Kerala, der Short Stories las. Ein armer Schriftsteller, aber dennoch ein Schriftsteller. Welches Mädchen hatte damals nicht den Wunsch, einen jungen Schriftsteller zu heiraten?
    Thoma Chacko hatte immer gewusst, dass es so kommen würde, dass er vom Tod seines Vaters auf diese Weise erfahren würde – dass der Tag wie immer beginnen, dass er zur Schule gehen würde und seine Mutter dann plötzlich auftauchen und aussehen würde wie ein Dienstmädchen, und dass sie so tun würde, als sei sie ganz ruhig, und mit ihm ohne große Erklärungen in ein Krankenhaus gehen würde. Aber er wäre nie darauf gekommen, dass er an dem Tag, vor dem er so große Angst hatte, ein violettes Kleid tragen würde.
    Er ist in der Aula bei der Generalprobe der Schultheateraufführung. Wie immer hat er eine Statistenrolle, diesmal jedochspielt er ein Mädchen, eines von vielen, die alle ein Kleid tragen und mit der rechten Hand am linken Ellenbogen auf den König warten. Sir Rufus hat allen weiblichen Statisten gesagt, sie müssten mit geschlossenen Beinen dastehen. «So stehen Mädchen», sagt er. Alle wissen, dass Sir Rufus die als Mädchen verkleideten Jungen gerne schlägt. Um ihm keinen Vorwand zu liefern, konzentriert sich Thoma deshalb.
    Als Thoma sie das erste Mal hört, weiß er, dass es keine Einbildung war, tut aber so, als hätte er sie nicht gehört. Er sieht seine Mutter weit entfernt im Türrahmen stehen, neben dem Rektor. Sie hat sich in aller Eile angezogen, und ihr schäbiger Aufzug überrascht ihn. «Thoma», sagt sie noch einmal.
    Während er durch die große leere Aula geht und die starke, grimmige Gestalt seiner Mutter näher rückt, weiß Thoma, dass sich sein Leben gerade zum Schlechten wendet. «Thoma, wo ist deine Schuluniform?», fragt sie.
    «Im Klassenzimmer.»
    «Wir haben keine Zeit, du musst so mitkommen.»
    «Was ist passiert?»
    «Dein Vater hatte einen Herzinfarkt. Er ist im Krankenhaus.»
    Sie erklärt dem Rektor: «Ich bin ohne Geld aus dem Haus gestürzt. Hätten Sie vielleicht hundert Rupien? Ich muss mit der Autorikscha zum GG-Krankenhaus.»
    «Ich habe kein Geld dabei, Madam», sagt er, «und das Rektorat hat heute Morgen alles Bargeld auf die Bank gebracht.» Er schreit dem versammelten Ensemble zu: «Hat hier irgendjemand hundert Rupien? Es ist ein Notfall.»
    Niemand sagt ein Wort.
    Mariamma nimmt ihren Sohn an der Hand und geht. Thoma hört einen Jungen maulen: «Sir,

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