Das verbotene Glück der anderen
Fenstersprossen der Busse hängen, die lachenden, wartenden, rennenden Menschen. Er hofft, dass sein Vater noch ein Teil all dessen ist, dass er wieder mit seinem energischen, morgendlichen Schritt laufen kann.
Schließlich bittet seine Mutter den Fahrer, er möge anhalten. Thoma ist verwirrt. Das Krankenhaus ist noch nicht in Sicht, sie befinden sich vor einem Mietshaus.
«Sie haben GG-Krankenhaus gesagt», sagt der Autorikschafahrer.
«Ich muss jemanden abholen», sagt sie.
«Dann müssen Sie aber schnell wiederkommen», sagt er. «Es ist nicht Ihr Wagen.»
Sie fasst Thoma an der Hand und marschiert durch den Eingang des Betongebäudes. Der Wächter beschließt, sie nicht anzuhalten, möglicherweise, weil Thoma wie ein extravagantes modernes Mädchen aussieht, das mit ihrem Dienstmädchen zu einer wichtigen Verabredung geht.
«Wo gehen wir hin?», fragt er.
«Thoma, es ist so, dass kein Geld im Haus war und ich völlig außer mir fortgestürzt bin. Deshalb haben wir kein Geld für die Autorikscha.»
«Und was machen wir jetzt?»
«Das Einzige, was uns übrig bleibt», sagt sie.
Sie gehen zur Rückseite des Gebäudes, klettern über die Mauer und springen in die ruhige Gasse auf der anderen Seite. «Was wir tun, ist falsch, Thoma, aber wir hatten keine andere Wahl», sagt sie. «Jesus weiß das.»
Während sie Hand in Hand durch die Gassen eilen und nervöse Blicke auf die vorbeifahrenden Autorikschas werfen, bemerkt Thoma die Blicke der Männer. Sie sehen ihn auf eine Art an, die er bisher noch nie erlebt hat. Sie haben keine Zweifel, sondern sind sich sicher, dass er ein Mädchen ist. Sie blicken auf seine Brust, seinen Schritt, seinen Hintern. Sie blicken ihn an, als sei er ein alter, vertrauter Feind, dem sie etwas wegnehmen wollen. Thoma fühlt sich gedemütigt. Sie sehen ihn an und spucken aus, ohne es zu merken. Das erinnert ihn an das, was Unni gesagt hatte: «Ich habe Nachforschungen angestellt, Thoma, wochenlang. Die Männer in Madras spucken die ganze Zeit, aber wenn sie ein junges Mädchen sehen, steigen die Chancen, dass sie spucken, um achtundsiebzig Prozent. Wenn sie ein Mädchen sehen, merken sie nicht mal, dass sie spucken.»
Als sie ins GG-Krankenhaus kommen, ist die Aufnahme überfüllt, und sie stehen da und fragen sich, was sie tun sollen. Seine Mutter fragt eine Krankenschwester etwas auf Malayalam. Daraufhin führt die Krankenschwester sie zu einem Aufzug. Im Aufzug mustert sie Thoma.
«Ich bin ein Junge», sagt er, «ich komme von einer Theaterprobe unserer Schule.»
«Du bist ein sehr schöner Junge», sagt sie, worüber Thoma trotz allem sehr glücklich ist. Sie führt ihn und seine Mutter in den längsten Korridor, den er je gesehen hat. Der Wohlstand, der ihm entgegenschlägt, überwältigt ihn, und er ist stolz, dass es sein Vater irgendwie fertiggebracht hat, hier zu landen und nicht in einem trostlosen, staatlichen Leichenschauhaus.
Die Krankenschwester berät sich mit anderen weißen Kittelnund führt sie dann durch ein Netzwerk von sauberen, schönen Korridoren. «Er liegt auf 401», sagt die Krankenschwester, «das ist hier.» Als sie den letzten Korridor entlanggehen, umklammert Mariamma seine Hand.
Sie rennen jetzt beinah, sodass auch die Krankenschwester rennen muss, die dazu gar keine Lust hat. Sie öffnet die Tür von Zimmer 401 und führt sie hinein. Thoma hat noch nie ein so luxuriöses Zimmer gesehen. Alles ist weiß und teuer, und eine tiefe, elegante Stille liegt in der Luft. Wie kann es jemand übers Herz bringen, an so einem Ort zu sterben?
Er sieht seinen Vater in einem grünen Krankenhauskittel auf einem dick gepolsterten, bequemen Bett liegen. In seiner Nase stecken Schläuche, was bedeutet, dass er noch lebt. Die Krankenschwester studiert die Unterlagen, die an seinem Bett hängen. «Alles in Ordnung», sagt sie. «Kein Grund zur Sorge, Mariamma. Er ist sehr schwach, kommt aber wieder auf die Beine. Nur wird er den ganzen Tag schlafen.»
Seine Mutter fängt an zu weinen, hat aber kein Verlangen, zu ihrem Mann zu gehen und ihn zu berühren. Thoma will die Hand seines Vaters halten, doch dieser Liebesbeweis ist ihm peinlich. «Wer hat ihn in dieses teure Krankenhaus gebracht?», fragt seine Mutter.
«Seine Arbeitskollegen», sagt die Krankenschwester. «Als es passierte, war er in der Redaktion.»
«Und wer bezahlt das alles?»
«Soviel ich sehe, sein Arbeitgeber. Mariamma, machen Sie sich bitte keine Sorgen. Sie können heute Abend nach Hause
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