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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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sicherstellen will, dass er sich nichts antut. Deshalb gehe ich zu ihm. Aber weißt du, was das Allerunheimlichste ist? Ich weiß nicht, warum ich ihn davon abhalte. Das, was er mit sich vorhat, ist richtig, da bin ich mir sicher. Und das ist das Unheimliche.»
    Sai war so erschrocken und verwirrt, dass er augenblicklich davonspurtete und rannte und rannte. Weil er aber die Gesellschaft der beiden unwiderstehlich fand, ging er eine Woche später wieder zu Somen. Während der folgenden Wochen merkte er, dass Somen und Unni sich allmählich veränderten.
    «Oft saßen sie einfach nur da und sprachen stundenlang nicht. Eines Tages sagte Somen ganz leise und mit tieftrauriger Stimme zu mir: ‹Sai, an manchen Tagen möchte ich auf die Dachterrasse gehen und laut schreien:
Leute, könnt ihr’s nicht sehen, könnt ihr’s nicht sehen
.› Ich hab ihn gefragt, was sie denn seiner Meinung nach genau sehen sollten, doch er und Unni blickten sich nur an und sagten nichts. Ein paar Tage später sah ich Somen mit einem großen, sehr scharfen Messer, dessen Klinge er immer wieder leicht gegen seine Pulsadern wippen ließ. Anfangs tat er es sanft, doch nach und nach schlug die Klinge immer heftiger auf. Ich war so entsetzt, dass ich zur Tür rannte. Beide fingen an zu lachen.»
    Eines Abends sagte Unni zu ihm, dass die Superman-Comics viele Geheimnisse enthielten, die man nur verstehen könne, wenn man die Supermanhaltung einnahm – die Flugpositur. «Ich musste mich bäuchlings auf den Boden legen, die Arme ausbreiten und den Kopf hochrecken. Es war schwieriger, als ich dachte, doch ich lag, Gott weiß wie lange, so da. Als ich es nicht mehr aushielt, stand ich auf und suchte die beiden. Sie waren auf der Dachterrasse. Als sie mich sahen, lachten sie los.»
    Mit der Zeit bat ihn Somen immer öfter, Lebensmittel einzukaufen, Briefe einzuwerfen, seine Vespa zum Mechaniker zu bringen, sogar die Deckenventilatoren musste er sauber machen, während Somens Mutter dabeistand und sich das Lachen verkniff. «Sie behandelten mich wie einen Dienstboten. Können Sie sich das vorstellen? Bis zu den Prüfungen waren es nur noch wenige Wochen. Die zentralen Abschlussprüfungen, das JEE, die regionalen Collegeexamen, all diese Prüfungen standen unmittelbar bevor, und ich stand da und putzte Deckenventilatoren.»
    Zu Beginn seiner Dienstbotenphase fühlte sich Sai an die Kung-Fu-Filme erinnert, in denen Zenmeister ihre Schüler alle möglichen niederen Arbeiten verrichten ließen. Er dachte, Somen und Unni versuchten, sein Ego zu brechen, damit er die Welt durch ihre Augen sehen konnte. Daher ertrug er widerstandslos alle Erniedrigungen und Plackereien. Doch am Ende geschahen ein paar Dinge, die ihm halfen, sich aus ihrer Gewalt zu befreien.
    Eines Sonntagabends gingen Unni und Somen zum Schwimmen an den Marina Beach. Sie schwammen weit hinaus, und Sai saß im Sand und sah ihnen zu. Dann fing er an, nervös zu werden. Am Strand sammelten sich Schaulustige, die die Jungen beobachteten, bis sie ihre Köpfe nicht mehr sahen. Sai saß da und weinte. Eine Stunde später landete ein Fischer mit seinem Katamaran und den beiden Jungen am Strand. Sie wirkten friedlich. «Ich hörte, wie die Fischer sagten, sie hätten noch nie jemandenso weit hinausschwimmen sehen. Als man die beiden Jungen fand, waren sie so erschöpft, dass sie nicht einmal mehr die Arme bewegen konnten, sie ließen sich jedoch auf dem Rücken treiben und lachten. Unni erzählte mir später, dass sie die Meeresgegend gut kannten und wussten, dass eines der vielen Fischerboote sie auf der Heimfahrt retten würde.»
    Ein paar Tage später taten sie etwas noch Gefährlicheres. «Sie sagten zu mir, sie wollten mir etwas zeigen, und brachten mich zu einer Eisenbahnbrücke in der Nähe von Perambur.»
    Es waren eingleisige Schienen, die über einen Kanal führten, ein abgeschiedener Ort, an dem stundenlang kaum etwas geschah, bis dann plötzlich ein Zug mit voller Geschwindigkeit vorbeiraste. Sai schauderte sichtlich, als er von dem Vorfall erzählte. Sie brachten ihn dazu, sich mit ihnen aufs Gleis zu stellen und zu warten, bis der Zug kam. Sie standen dicht aneinandergedrängt in einer Reihe und hielten sich an der Taille umfasst.
    Unni stand in der Mitte. Er umklammerte Sais Taille. «Bis zu diesem Moment hatte ich nicht gewusst, wie stark er war. Er hatte einen eisernen Griff.» Das Spiel war einfach – man musste dastehen und auf den Zug warten, ihn auf sich zukommen lassen und dann,

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