Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
Nzangia. In der Hoffnung, ihrer Anführerin zu helfen, fügte sie hinzu: »Es war Bellonas Idee. Weil der Boden so nass ist, schlägt sie vor, dass du im Wagen schlafen könntest. Das ist bestimmt …«
»Von Bellona will ich nichts mehr hören!«, keifte Lucretta schrill. »Knebelt sie, und fesselt sie an den Baum dort. Ich schlafe auf dem Boden wie ihr anderen auch.«
Damit wandte die Meisterin den anderen den Rücken zu und marschierte auf das Feuer zu, wo sie steif stehen blieb und ihre Hände an der glimmenden Holzkohle wärmte. Die Soldatinnen schoben das Feuer zusammen und richteten ihrer Meisterin daneben auf der trockensten Stelle einen Schlafplatz ein, wobei sie sorgfältig darauf achteten, jeden Stein oder Ast zu entfernen, ehe sie die Decken ausbreiteten.
Für diejenigen, die noch Wache standen, hob man etwas zu essen auf. Der Rest wurde schweigend und rasch verzehrt. Immer wieder warfen die Soldatinnen befremdete Blicke auf ihre Meisterin, die flach auf dem Rücken mit den Händen auf dem Bauch würdevoll auf ihren Decken lag. Sie wirkte so beeindruckend, dass keine der Kriegerinnen es wagte, sich in ihrer Nähe niederzulassen.
Nzangia kam mit einem Tuch in der Hand zu Bellona herüber.
»Merkwürdig, das mit dem Wagen, findest du nicht?«, meinte Bellona mit leiser Stimme. Ihr Blick ruhte auf der Meisterin. »Der wäre doch viel angenehmer gewesen.«
»Mir kommt das alles so seltsam vor. Wie in einem Traum«, gestand Nzangia. »Allerdings glaube ich, dass sie Recht hat. Wir haben einiges schleifen lassen.«
Sie hob den Knebel, um ihn Bellona um den Mund zu binden.
Bellona hielt sie mit ihren gebundenen Händen auf. »Hol mir eine Decke.«
»Ja, natürlich.«
»Mit einem Messer darin.«
Nzangia zuckte zusammen. Fast hätte sie den Knebel fallen lassen.
»Du bist nicht ganz bei dir, Kommandantin.«
»Nzangia, ich will mir nicht die Pulsadern aufschneiden«, unterbrach Bellona sie ungeduldig. »Ich will Melisande nachsetzen. Ich werde sie zurückholen, damit sie sich vor Gericht für ihr Tun verantworten kann.«
Nzangia starrte sie an. Verstohlen blickte sie zur Meisterin. »Ich weiß nicht, Bellona …«
»Lucretta hat meine Ehre in Frage gestellt, Nzangia. Und deine. Und ihre.« Bellona wies auf die Kriegerinnen, die schweigend schlafen gegangen waren. Die üblichen leichtfertigen Scherze und Spötteleien waren ausgeblieben. »Diese Schande wird mir bis zu meinem Tod anhängen.«
Nzangia zögerte.
»Du bekommst schon keinen Ärger«, drängte Bellona. »Ich lasse es so aussehen, als ob ich mich im Fluss ertränke. Ich muss das einfach tun, Nzangia, ich muss! Du liebst doch Drusilla«, fügte sie mit bebender Stimme hinzu. »Du verstehst mich.«
Mit knappen Bewegungen band Nzangia Bellona den Knebel um den Mund. Dann erhob sie sich und starrte ihre Kommandantin lange an, ehe sie kehrtmachte und davonging. Bellona behielt sie so lange wie möglich im Blick, doch schließlich verschwand sie im Wald. Dort würde Nzangia ihre Runde drehen, die Wachen überprüfen und sich vergewissern, dass alle auf ihrem Posten waren und keine eingenickt war.
Jetzt konnte Bellona nichts mehr tun. Erschöpft lehnte sie an ihrem Baum. Sie hatte keine Ahnung, ob Nzangia ihren Wunsch erfüllen würde oder nicht. Mit etwas Glück hatten ihre Worte sie beeindruckt, aber Bellona wusste das nicht genau. Der plötzliche Aufstieg hatte ihre Stellvertreterin zunächst überrascht, doch andererseits war diese schon immer ehrgeizig gewesen. Sie passte sich schnell an ihre neue Rolle an. Nzangia würde schon dafür sorgen, dass sie gut mit Lucretta auskam.
»Vermutlich wird sie froh sein, wenn sie mich los ist«, sagte sich Bellona. »Genau wie Lucretta. Das mit dem Wagen war schon auffällig. Sie war kein bisschen neugierig. Sollte sie aber sein, da er so dicht bei unserer Grenze steht. Viel zu dicht. Aber das spielt eigentlich keine Rolle. Nur Melisande spielt eine Rolle. Ich werde sie vor Gericht bringen. Dadurch beweise ich Nzangia und Lucretta, dass meine Ehre und mein Eid mich binden. Ich habe Melisande nicht absichtlich entkommen lassen.«
»Ich werde es ihnen allen zeigen«, schwor sie. Innerlich jedoch wusste sie, dass sie es nur einer zeigen wollte – sich selbst.
Es war eine klare, kalte Nacht. Der Fluss spiegelte das Licht der Sterne, die seiner glatten Oberfläche einen silbernen Glanz verliehen. Nach dem sintflutartigen Regen hatte der Fluss Hochwasser geführt, doch damit war es jetzt vorbei. Der
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