Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
bekommen, was ihr Herz begehrt.«
»Aber dennoch Gefangene«, beharrte Drakonas. »Wie die Menschen in Seth. Die haben auch alles, was sie wollen.«
Bran verkniff sich ein ungeduldiges Aufseufzen. Er musste sich große Mühe geben, sich zu beherrschen. Drakonas machte ihm dieses Gespräch nicht gerade leicht.
»Du weißt so gut wie ich, dass wir nicht zulassen können, dass diese Frau frei herumläuft. Ebenso wenig ihr Kind. Der Junge braucht eine gute Ausbildung.«
»Damit er später Drachen töten kann. Wieso bist du so sicher, dass es ein Sohn wird?«
»Der König, den du gewählt hast, hat bereits zwei Söhne gezeugt. Aber ein Mädchen wäre ebenfalls akzeptabel, wenn auch weniger wünschenswert.«
»Sieh es doch mal von dieser Seite«, schlug Drakonas vor. »Wenn Melisande eure Gefangene ist, könntet ihr ja immer noch versuchen, mehr zu zeugen. Bei Maristara klappt das ganz gut.«
Brans Mähne raschelte. Seine Schuppen klackten, und sein Schwanz zuckte. Er grub seine Klauen in den Sand.
»Muss ich dich daran erinnern, wie viele Leben auf dem Spiel stehen?«
Nein, antwortete Drakonas lautlos, das musst du nicht. Ich weiß es. Verdammt noch mal, ich weiß es! Er griff in sein Wams, um das Fläschchen mit dem Trunk zu berühren. Kalt, hart und scharfkantig lagen die Edelsteine in seiner Hand.
»Und welchen Plan verfolgt ihr mit dem Kind?«, fragte Drakonas in versöhnlicherem Ton. »Ich vermute, es soll Maristara und ihren Mitverschwörer töten, wenn es groß ist, und die verrückten Mönche, die Kinderräuber und den ganzen Rest erledigen. Ich frage mich nur, wie es das anstellen soll.«
»Da haben wir schon Ideen«, meinte Bran, ohne seine Farben deutlich zu zeigen.
Drakonas starrte auf den Fluss, der an ihm vorbeizog. Die Sterne spiegelten sich im Wasser, aber nie konnte der Fluss sie einfangen. »Du weißt es noch nicht, hm? Ebenso wenig wie Anora.«
»Darüber können wir uns noch zwanzig Jahre lang den Kopf zerbrechen«, hielt Bran dagegen.
Drakonas schnaubte. »Hinhaltetaktik. Dasselbe, was ihr die ganze Zeit schon tut. Was sind nach dreihundert Jahren schon weitere zwanzig? Ihr habt euch entschieden, nichts zu entscheiden. Ihr tut nichts.«
»Wir tun durchaus etwas«, setzte Bran an.
»Ja, dasselbe wie Maristara«, schnitt Drakonas ihm das Wort ab. »Ihr benutzt sie, um eure eigenen Ziele zu erreichen, ohne Rücksicht darauf, ob wir ihr Leben zerstören.«
»Ein paar Leben, um viele zu retten. Und Menschen gehen so achtlos mit ihrem Leben um, Drakonas. Sie werfen es weg, als wären sie nicht wertvoller als der Sand unter meinen Tatzen.«
Die Farben in Brans Geist waren wie die Edelsteine, die Drakonas berührte: hart, facettenreich und mit scharfen Kanten.
»Du hast keine Wahl, Drakonas. Anora hat befohlen, dass du den Plan fortsetzt. In einer Woche komme ich zurück, um deinen Bericht zu hören. Dann helfe ich dir, die Frau zu Anora zu bringen. Ich würde ja früher kommen, aber es wurde eine Sondersitzung des Parlaments einberufen, um das Thema zu besprechen.«
»Ihr wisst doch, dass einer aus dem Parlament Maristara alles mitteilt.«
»Keine Sorge, wir werden nicht alles preisgeben, was wir wissen. Anora meint, es würde Maristara auffallen, wenn wir jetzt keine Sondersitzung ansetzen. Sie würde Verdacht schöpfen. Nur ruhig, Drakonas. Du kennst doch Anora. Sie ist eine Meisterin in der Kunst, ihre Gedanken zu beherrschen. Sie werden nur sehen, was Anora ihnen zeigen will.«
Bran breitete die Flügel aus, um davonzufliegen. »Ich bin froh, dass du dich einverstanden erklärt hast. Ich kenne deine Bedenken. ›Drakonas hat die Seele eines Drachen‹, sagte Anora, ›aber das Herz eines Menschen.‹ Sei unbesorgt. Du tust das Richtige.«
Das sagte Anora immer. Unzählige Male hatte Drakonas das schon von ihr vernommen. Andererseits fügte sie stets hinzu, dass er der beste Zweibeiner sei, den es je gegeben hätte.
»Und was erzähle ich diesem König, dessen Reich von einem bösen Drachen heimgesucht wird?«, wollte Drakonas noch wissen, als Bran sich schon in die Lüfte hob und mit den Flügelspitzen die Baumwipfel berührte.
»Sag Seiner Majestät, dass die Ankunft der Drachenmeisterin das Ungeheuer so erschreckt hat, dass es die Flucht ergriffen hat«, gab Bran schmunzelnd zurück.
Dann brauste der Drache davon. Auf seinen Schuppen glitzerte das Mondlicht, das ihn einen Augenblick lang silbern aufschimmern ließ, bis er abdrehte, höher stieg, die Sterne verfinsterte und
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