Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
Haut fühlte sich heiß an, und geschwächte Schwestern fielen mitunter ins Delirium. In ihrem Kopf entstand ein lodernder, wirbelnder, flirrender Farbenball.
Der Sprechgesang wurde lauter und lauter. Inzwischen nährte die Magie der Meisterin das Feuer im Becken. Die Flammen loderten hoch auf. Unten im Tal, wo die Menschen voller Furcht der Schlacht entgegensahen, würde man jetzt die dickeren Rauchwolken sehen und jubeln. Auch der Drache konnte den Rauch sehen, doch er wusste nicht, was das zu bedeuten hatte.
Das Auge im Stein blinzelte und begann, sich zu weiten. Irritiert fragte sich Melisande, ob sie schon Wahnvorstellungen hatte. Dann jedoch erkannte sie mit einer Erregung, die Schmerzen und Fieber verschwinden ließ, dass dies das Wunder der Magie war. Melisande hatte das Wunder noch nie miterlebt und war von Ehrfurcht erfüllt.
Der Boden wich blauem Himmel und den schneebedeckten Gipfeln der Berge. Sonnenlicht drang in die Höhle.
Hinter dem Berg flog der Drache heran.
Die Meisterin stieß einen Schrei aus, der sich voll Wut, Hass und Triumph aus ihrem alten Körper löste. Der Drache schien ihn zu hören, denn mit einem Mal drehte er den Kopf und starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an.
Die Farben in Melisandes Kopf, die sie hinter ihren Augen sah, nahmen Form an, wurden zu gelben Stacheln und scharfen, eisengrauen Spitzen, die auf den Verstand des Drachen losgingen. Sie verschmolzen mit den Farben der anderen Schwestern. Gemeinsam verwirrten sie ihn und schützten sich zugleich vor den Sprüchen, die er vielleicht benutzen wollte.
Jetzt entfesselte die Meisterin ihre ganze Macht. Ein wirbelnder Energieausbruch stieg mit dem Rauch auf.
Der Drache wollte abdrehen, doch nun war es zu spät. Der magische Energiewirbel hatte ihn erfasst. Der gefangene Drache schlug heftig mit den Flügeln, um zu entkommen, aber der Zauber wirbelte ihn umher wie tosende Stromschnellen eine Schaumblase. Sein Kopf peitschte vor und zurück und gegen seinen eigenen Körper, die Energie trommelte auf ihn ein, bis er vor Wut und Schmerz aufbrüllte. Schließlich riss die Magie das hilflose Tier immer weiter in die Tiefe, wo sein Körper auf den spitzen Felsen zerschellen sollte.
Er war jung und stark und kämpfte gegen sein schreckliches Schicksal an, doch Melisande sah, wie er schwächer wurde. Schon war er in Reichweite der Kriegerinnen. Sie schleuderten Speere nach ihm und schossen Pfeile ab. Ein Geschoss traf ihn am Flügel, ein anderes prallte von seinen Schuppen ab. Er wurde unausweichlich nach unten gezogen. Es gab kein Entrinnen.
Plötzlich stockten die Worte der Meisterin. Man hörte ein Gurgeln. Melisande, die mit dem Rücken zum Altar kniete, warf einen Blick über die Schulter. Die Meisterin griff sich krampfartig an den Hals.
»Meisterin!«, rief Melisande erschrocken.
»Haltet … den Zauber aufrecht!«, keuchte die alte Frau.
Sie klammerte sich an den Altar und bemühte sich, stehen zu bleiben, doch sie war zu schwach. Schon glitt sie auf den Boden. Die Schwestern kamen aus dem Rhythmus. Der Gesang verebbte. Entsetzt starrten sie die Meisterin an, die hinter dem Altar lag. Eine Schwester begann hysterisch zu schreien, eine andere brach in Tränen aus.
Melisande versuchte weiterzusingen, doch sie wusste, dass es hoffnungslos war. Ohne ihre Meisterin waren die Schwestern dem Drachen nicht gewachsen. Das Feuer im Becken ging zurück, bis der Rauch nur noch ein feines, kaum sichtbares Fähnchen war.
Da bemerkte der Drache, dass er frei war.
Mit einem Schlag brachten seine ledrigen Flügel ihn außer Reichweite der Speere und Pfeile. Melisande sah ihn davonfliegen. Ein Vorderbein baumelte schlaff herab, ein Flügel war aufgerissen, und in seinen Flanken steckten zahllose Pfeile. Das schillernde Grün seiner Schuppen war blutverschmiert.
Das war das Letzte, was sie von ihm sah, denn nun schloss sich das Auge und sperrte Sonne und blauen Himmel wieder aus. Da auch das Licht des Feuerbeckens nachließ, war die Höhle nun düster und verraucht.
Nach dem Fieber des Blutfluchs waren alle schwach und ausgelaugt, doch viele Schwestern hielten sich mühsam aufrecht, riefen nach der Meisterin und versuchten, zu ihr zu gelangen. Melisande hörte die Hysterie in ihren Stimmen und befürchtete eine Panik.
»Aufhören!«, befahl die Hohepriesterin in scharfem Ton. Sie versperrte ihnen den Weg zum Altar. »Reißt euch zusammen. Euer verstörtes Getue hilft der Meisterin ganz sicher nicht.«
Beim Blick hinter den
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