Das verbotene Land 2 - Drachensohn
blutend taumelte er rückwärts aus dem Wagen. Der andere jedoch erreichte Nem, bevor dieser erneut angreifen konnte. Mit einem schweren Keulenschlag streckte der Mann ihn zu Boden. Blut lief Nem in die Augen. Er kämpfte gegen die erneut drohende Bewusstlosigkeit an.
Er konnte sich nicht in diesem Käfig zur Schau stellen und begaffen lassen. Wieder kam er hoch.
Der Mann über Nem schlug noch einmal zu. Die Wunden der letzten Nacht platzten wieder auf, und eine neue kam hinzu.
Nem sank auf dem Boden in sich zusammen. Das Stroh unter ihm saugte das Blut auf.
Federfuß war ganz vorn geritten. Als er die Männer rufen hörte, kam er nach hinten galoppiert, um herauszufinden, was all die Aufregung zu bedeuten hatte. Neben ihm ritt auf einem kleinen, grauen Zelter Evelina in feinen Kleidern (die von der bereits erwähnten Gönnerin gestohlen waren). Zart, weich und müde wirkte sie – es war eine lange Nacht gewesen.
»Was ist hier los?«, wollte Federfuß wissen.
»Dein wilder Mann wollte ausbrechen«, erklärte einer der Aufpasser.
Der Mann im Käfig fesselte Nem unsanft mit einem Seil die Arme hinter dem Körper. Auch die Füße band er an den Knöcheln über den Ketten zusammen. Die Wachen wollten kein Risiko mehr eingehen, nachdem sie ihren Freund halb tot weggetragen hatten.
Der Mann warf Nem einen grimmigen Blick zu. »Der Kerl ist stark, das muss ich ihm lassen. Hat die Ketten abgerissen, als wären sie Brotteig.«
»Ein wahres Wunder!«, strahlte Federfuß. »Seht ihn nur an! Fast zu Brei geschlagen und dennoch wach. Du würdest mir gern an die Kehle gehen, stimmt's, Monster?«, trumpfte er auf. »Erinnert mich an den Löwen, den wir mal hatten.«
»Der Käfig da reicht nicht für ihn«, sagte der Wachmann, der Nem weiterhin misstrauisch beobachtete. »Momentan geht es wohl, aber wir sollten in der nächsten Stadt anhalten, stärkere Ketten anfertigen lassen und diese Gitterstäbe reparieren.«
»Gute Idee«, meinte Federfuß. »Na, ihr scheint ja jetzt alles im Griff zu haben. Weiter geht's. Wir haben schon genug Zeit verschwendet. Kommst du, Evelina, Süße?«
»Gleich«, erwiderte sie kühl.
Evelina musterte Nem durch das Gitter. Er sah seinen nackten Körper in ihren Augen. Da fiel ihm alles wieder ein – ihre Lippen, ihre Berührung, wie er sie gehalten hatte. Fassungslos starrte er sie an. Wie gern hätte er an ihre Unschuld geglaubt.
Evelina lächelte ihn an. »Monster«, zischte sie. »Sei ein braves Monster, sonst gibt's kein Abendessen.«
Nach einem letzten, höhnischen Blick reichte sie Federfuß die Hand, und beide ritten davon, um ihren Ehrenplatz an der Spitze des Wanderzirkus einzunehmen, der zwar keine Fürsprecherin mehr hatte, aber dafür ein absolut echtes Monster. Ihr Glück war gemacht.
Die Verzweiflung und die Schande ließen Nem die Galle hochkommen. Sein Magen verkrampfte sich. Kalter Schweiß überzog seinen Körper, und er begann zu zittern, bis er sich schließlich übergab. Danach war er zu schwach, um sich aus dem Erbrochenen wegzurollen, und ihm wurde erneut übel.
Der Fahrer setzte die Pferde in Gang. Die eisenbeschlagenen Räder rumpelten über die unebene Straße. Der Käfig schwankte, doch er war stabil. Früher hatte ihn der Löwe bewohnt, dessen mottenzerfressenes Fell noch immer die kleinen Kinder beeindruckte.
Nem lag auf dem Boden des wackelnden Käfigs. Die Augen hielt er fest geschlossen, um die Gitter nicht sehen zu müssen. Als die Dunkelheit ihn erneut überkam, ließ er es zu. Er hoffte, nie wieder zu erwachen.
»Helft mir!«, schrie seine Seele.
Eine Stimme antwortete.
Nem schreckte auf. Noch nie hatte er auf diese Stimme gehört. Immer hatte er ihren Klang gehasst, aber jetzt beruhigte sie ihn.
Die Höhle in seinem Inneren hatte er lange nicht betreten, doch er wusste noch, wie sie zu finden war. Jetzt suchte er sie auf.
Als er eintrat, saß dort geduldig wartend der Drache – sein Vater.
17
Nur wenige Ohren hörten Nems gepeinigten Hilfeschrei, denn kaum jemand ist auf die Worte der Seele eingestimmt. Doch sein Schrei hallte durch die Korridore der Drachen, und dort hörte ihn Grald, erkannte die Stimme seines Sohnes und frohlockte. Auch Drakonas vernahm den Ruf, und auch er erkannte Nems Stimme.
Aber Drakonas frohlockte nicht. Er fluchte.
Seine Worte, die ihm in der Sprache seiner Gastgeber entfuhren, überraschten und beleidigten die drei alten Männer, die bei ihm saßen. In reich bestickten Tunikas über lockeren Hosen und mit
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