Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
keineswegs fassungslos, sondern eher belustigt. Grinsend zog er einen Stuhl an Nems Bett.
»Ich mag sie alle nicht«, fuhr Nem mit einem vernichtenden Blick auf den Mönch fort, der sich immer noch an ihm zu schaffen machte. »Wenn ihnen ihr Leben lieb ist, sollen sie sich von mir fernhalten.«
Auf ein Zeichen von Grald eilte der Mönch dankbar nach draußen. Grald sah wieder seinen Sohn an. Seine Belustigung verschwand.
»Du hast dich davongeschlichen, um allein mit deinem Bruder zu sprechen. Das war dumm – wie du festgestellt hast. Du hättest Geduld haben müssen. Ich hätte eine Begegnung arrangiert.«
Nem starrte aus dem Fenster. Die Sonne ging unter. Blassgelb hob sie sich vom blassblauen Himmel ab, die Farben so gedämpft, als versuchten sie zu entschwinden, ohne dass es jemand bemerkte. »Markus ist mein Zwillingsbruder. Ein Bruder, von dem ich nie wusste. Ich wollte ihn allein treffen. Ich wollte unter vier Augen mit ihm reden.«
»Du wolltest ihn warnen, meinst du«, warf Grald ein. »Dass ich ihn töten wollte. Du wolltest ihm zur Flucht verhelfen.«
»Ich habe dir gesagt, wo er steckt«, schimpfte Nem. »Du hättest ihn dir holen können. Es ist nicht meine Schuld, dass du das nicht getan hast.«
»Ich hatte anderes zu tun«, knurrte Grald.
»Wegen Drakonas?«, fragte Nem.
»Was weißt du von Drakonas?«, wollte Grald wissen. Seine Augen verschwanden fast unter dem Schatten seiner dichten Augenbrauen.
»Ich weiß, dass er hier in der Stadt war. Ich weiß, dass er Markus vor deinen Mordgesellen gerettet hat. Und ich weiß, dass er Markus als Lockvogel benutzt hat, um dich zu erwischen«, teilte Nem ihm mit kühler Stimme mit. »Alles hochinteressant, wenn man bedenkt, dass du Markus als Lockvogel eingesetzt hast, um Drakonas zu kriegen. Was war los, Grald? Habt ihr euch am Ende gegenseitig gefasst? Habt ihr deshalb die Stadt in die Luft gejagt?«
Der Mensch Grald betrachtete Nem unter grimmigem Schweigen. Der Drache Grald vor der Höhle von Nems Verstand fuhr wütend die Krallen aus. Nem verharrte unerreichbar im weißen Zentrum seines Inneren.
»Warum habt ihr die Stadt in die Luft gejagt, Grald?«, hakte er nach. »Und wo ist mein Bruder? Wo steckt Evelina? Ich würde sie gern wiedersehen.« Er legte eine Hand auf die Wunde. »Mit der hab ich noch eine Rechnung offen.«
»Deinen Bruder kannst du selbst kontaktieren«, sagte Grald unvermittelt. »Du hast diese Kraft, die den Drachen zu eigen ist. Frag ihn selbst, wo er ist.«
»Ich glaube kaum, dass mein lieber Bruder mir freiwillig seine Gedanken zeigt«, bemerkte Nem trocken. »Nach allem, was vorgefallen ist. Was ist los, Grald? Hast du den Prinzen verloren?«
»Ich stelle hier die Fragen«, gab Grald etwas verspätet zurück. »Und dieses Mal will ich Antworten. Was ist geschehen, als du dich mit deinem Bruder getroffen hast? Was hat er gemacht? Was hat er gesagt?«
Achselzuckend legte Nem sich wieder hin. »Ich bin Markus begegnet. Schon mein Anblick hat ihn zurückschrecken lassen. Er hat mich vom ersten Moment an gehasst – ein Gefühl, das durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Er ist genau das, was zu erwarten war – ein verwöhntes, verzogenes Prinzchen. Ich sah genau, dass er mich loswerden wollte, aber er musste mich natürlich hinhalten, damit du in die Falle tappen konntest, die er dir zusammen mit Drakonas gestellt hat. Dann ist Evelina aufgekreuzt. Sie hat an der Tür gelauscht, bis sie hörte, dass ich Markus als Prinz bezeichnete. Daraufhin hat das berechnende kleine Biest fast die Tür aus den Angeln gehoben, um sich ihm an den Hals zu werfen. Sie erzählte ihm, was für ein Ungeheuer ich sei – wie ich ihren Vater umgebracht hätte und versucht hätte, sie mit Gewalt zu nehmen. Mein Bruder hat ihr natürlich geglaubt. Immerhin hat er sie nicht ermuntert, mich umzubringen. Markus ist ein Schwächling. Zu solchen Dingen fehlt ihm der Schneid. Der Angriff war allein Evelinas Idee. Wie eine Wildkatze hat sie sich auf mich gestürzt. Ich erinnere mich nur noch daran, wie sie mir das Messer in die Brust gestoßen hat.«
»Das Messer, das du ihr verschafft hast«, erinnerte ihn Grald.
»Das war ein Fehler. Ich habe dafür bezahlt.«
»Und dann, Drachensohn?«
»Sag du es mir, Drachenvater. Ich hörte eine Explosion. Irgendwann bin ich dann aufgewacht. Ich lag in meinem eigenen Blut in den Trümmern eines Hauses. Markus und Evelina waren fort. Draußen herrschte helle Aufregung, alles schrie herum, und man grub die Opfer
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