Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
aus. Für mich hat sich niemand interessiert. Darum bin ich losgekrochen und schließlich hierhergekommen. Ich muss wieder ohnmächtig geworden sein, denn meine nächste Erinnerung ist, wie einer deiner irren Mönche sich brabbelnd über mich beugt. Ich habe deine Fragen beantwortet, Vater. Jetzt beantworte du meine. Wo ist mein Bruder? Wo ist Evelina? Sind sie bei der Explosion ums Leben gekommen? Und wo ist Drakonas? Ich finde, ich habe ein Recht, das zu erfahren – immerhin wollen alle drei meinen Tod.«
Grald schwieg. Vermutlich versuchte der Drache zu entscheiden, wie viel er Nem erzählen und wie viel er für sich behalten wollte.
»Du hast von keinem von ihnen etwas zu befürchten, Drachensohn«, teilte Grald ihm schließlich mit. »Was deinen Bruder angeht, so hast du Recht. Der Königssohn ist weichlich, schwach und leichtgläubig. Er wird sich in die Arme seines Vaters flüchten, und ich lasse ihn gehen. Das Mädchen ist bei ihm.« Grald verzog die Lippen zu einer Art Lächeln: »Aber du wirst schon bald Gelegenheit zur Rache bekommen.«
»Gut«, nickte Nem, obwohl er sich fragte, was das zu bedeuten hatte. In der Hoffnung auf weitere Einzelheiten wartete er ab.
»Und was die Gefahr angeht, in der du schweben magst«, fuhr Grald fort, »so werden die Mönche dich beschützen – wenn du sie lässt.«
Verärgert schüttelte Nem den Kopf.
»Zunächst aber musst du dich ausruhen, damit du wieder ganz gesund wirst. Wenn du wieder bei Kräften bist, erzähle ich dir alles, was du wissen musst.«
Der Drache verschwand. Er schickte den Mönch wieder herein.
Nem befahl dem Mönch, wieder zu verschwinden und die Tür zu schließen. Er wollte allein sein. Der Mönch gehorchte dem Drachensohn, ging jedoch nicht weit. Vor der Tür hörte Nem leise Schritte. Zwei Mönche bezogen Stellung. Mindestens zwei.
Nem legte sich wieder hin. Die mentale Auseinandersetzung hatte ihn so sehr angestrengt, als hätte er einen körperlichen Kampf mit dem Drachen hinter sich – eine unschöne Vorstellung, die ihn aufmerken ließ. Eines Tages würde er gegen den Drachen kämpfen müssen, wenn er seinen Schwur halten und seine Mutter rächen wollte. Und diesen Kampf musste er geistig und körperlich ausfechten.
Nem hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Noch war er für ein solches Ringen nicht bereit. Er wusste genug über Drachenmagie, um sich vor Grald zu schützen, aber mehr auch nicht. Er dachte daran, wie Drakonas ihm angeboten hatte, ihn alles über die Magie zu lehren. Damals hatte Nem abgelehnt. Er war noch ein kleiner Junge gewesen und wollte die Drachenmagie, die in ihm brodelte, ebenso wenig wie seine Drachenbeine, die Drachenklauen und das Drachenblut.
Noch immer lehnte er all das ab. Die Mönche gaben sich ehrerbietig, aber er sah die Angst und den Hass in ihren Augen. Die gleiche Angst und den gleichen Hass, der kurz in Markus' Augen aufgeflackert war. Dasselbe, was er stets in Evelinas Augen vorfand.
Doch so sehr sie ihn verabscheuten, hasste er dennoch seinen Drachenanteil weitaus mehr als sie. Dagegen musste er etwas tun. Nem war erwachsen, kein Kind mehr. Er musste lernen, seine Magie zu benutzen. Denn er würde sie brauchen, um Grald zu vernichten.
Eines hatte Nem während seines Wortwechsels mit Grald immerhin erfahren, zumindest glaubte er es zu wissen:
Der Drache hatte keine Ahnung, was aus Drakonas geworden war.
6
Es war erst die zweite Parlamentssitzung, der die junge Lysira beiwohnen würde. Anoras dringender Ruf zur Versammlung war unerwartet gekommen. Angesichts der gegenwärtigen Krise jedoch war das Unerwartete eigentlich zu erwarten gewesen, überlegte Lysira.
Sie freute sich über das anberaumte Treffen, wenn auch nicht so sehr wegen der Versammlung selbst, die natürlich auch spannend war. Lysira freute sich besonders darauf, den Zweibeiner wiederzusehen, Drakonas. Einer Menschenfrau hätte bei diesem Gedanken das Herz geflattert. Lysiras Drachenherz schlug ganz ruhig, nur ihre Gedanken waren in Aufruhr.
Drachen leben gern allein. Sie wollen frei sein, um ungestört ihren Träumen nachzuhängen. Zur Paarung und zur Aufzucht der Jungen tun sie sich eher widerwillig zusammen, denn die Paarung selbst macht ihnen wenig Freude. Man war froh, sie schnellstmöglich hinter sich zu bringen. Für Drachen ist Liebe die Begegnung auf geistiger Ebene, nicht auf der körperlichen. Sie ist das Verschmelzen von zwei wundersamen Träumen, das Ineinanderfließen fantastischer Farben und
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