Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
fauchte Malfiesto.
Er war ein reizbarer alter Griesgram, den Lysira normalerweise unausstehlich fand. Heute aber konnte sie sich für ihn erwärmen und bedachte den Alten mit einem dankbaren Blick. Unvermittelt stiegen schöne Erinnerungen an seine Jugend in Malfiesto auf, die ihn kurzfristig vom Thema ablenkten. Aber das fiel ihm bald wieder ein.
»Er kommt mal wieder zu spät«, fuhr Malfiesto fort. »Ich schlage vor, dass wir einen offiziellen Tadel aussprechen.«
»Ich weiß nicht genau, wo Drakonas ist«, teilte Anora ihm mit – was der Wahrheit entsprach. »Ich habe ihn nicht über diese Versammlung unterrichtet, denn ich will ihn nicht hier haben.«
Die versammelten Drachen wurden still. Ihre Farben bebten. Lysira spürte, wie ihre eigenen Farben gegen die Höhlenwände prallten. Sie musste sie gewaltsam unter Kontrolle halten, um den anderen nichts von ihrer Angst und Enttäuschung mitzuteilen.
»Er hat sich doch nicht etwa umbringen lassen?«, fragte Litard, ein männlicher Drache, herablassend.
»Nein«, antwortete Anora. »Ich glaube nicht, dass er tot ist.«
Lysira war zutiefst erleichtert, wenn auch nur kurzfristig.
»Ich glaube, er ist abtrünnig geworden. Ruhe!«, zürnte Anora flammend rot. »Ruhe hier! Hört zu. Seit den Drachenkriegen haben wir keine solche Krise mehr erlebt. Unser Leben, besonders das der Jungen unter uns«, wieder sah sie Lysira mit jener mysteriösen Traurigkeit an, »schwebt in höchster Gefahr.«
Nun endlich hatte sie die volle Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer. Litard hörte auf, seine blitzenden grünen Schuppen zu putzen, und bekundete laut seine Überraschung. Mantas mit seinen dumpfen Farben zeigte keine Regung, sondern wartete schweigend, wie die Dinge sich entwickeln würden. Jinat, der immer sorgenschwer wirkte, nickte bedrückt, als hätte er das alles kommen sehen. Arat grinste. Er mochte weder die Menschen noch Drakonas. Malfiesto kniff die Augen zusammen.
Drakonas stammte aus dem von Malfiesto geführten Adelshaus, auch wenn man daran nie dachte, da der ältere Drache mit Drakonas' Handlungen nie zufrieden war. Jetzt aber sah Lysira, dass Malfiesto besorgter war, als er zeigen wollte. Anstatt zu brüllen und loszutoben, wie sie erwartet hätte, war er außergewöhnlich still geworden.
Die sieben anderen Häuser hatten weibliche Oberhäupter. Dyxtra die Silberne war beinahe so alt wie Anora und Maristara. Sie kannte beide von Kindesbeinen an und war angeblich wenig überrascht gewesen, als Maristara ein Menschenreich versklavt hatte. Dyxtra hatte nie eingesehen, wozu man einen Zweibeiner brauchte, und sich immer geweigert, zu dem Zauber beizutragen, mit dem diese schwierige Illusion gewirkt wurde. Jetzt schnaubte sie nur, als wäre dieser Ausgang zu erwarten gewesen.
Reyal war mittleren Alters. Im Gegensatz zu den meisten Drachen hielt sie sehr viel von Kreativität und Kommunikation und versuchte ständig, anderen ihre Träume mitzuteilen. Auch sie mochte keine Menschen, seit sie einst einen Menschen in ihrer Höhle angetroffen hatte, als ihre Nachkommen noch im Ei schlummerten, wie es hieß. Der Mensch war gar nicht erst in die Nähe der Drachenjungen gekommen, aber Reyal hatte geschäumt und fing noch heute immer wieder damit an, sobald sie Gelegenheit dazu bekam.
Alisha zählte zu Reyals Altersgruppe, war jedoch eher von ernster Natur und ganz auf ihr Innenleben konzentriert. Sie meldete sich in Sitzungen nie zu Wort, bat nie um den Sprecherstab und stellte nie Fragen, sondern hörte nur aufmerksam zu und nahm alles auf, ohne zu zeigen, was sie davon hielt.
Nionan mochte Menschen. Als sie jung war, hätte sie sich gern selbst als Zweibeiner zur Verfügung gestellt, war jedoch nicht gewählt worden. Gerüchten zufolge benutzte sie ihre Illusionskünste dafür, Menschen zu ihrer Höhle zu locken, damit sie diese beobachten konnte. Wie Malfiesto sah sie Anora jetzt sehr misstrauisch an.
Die letzte Herrscherin, Shrireth, schien im Halbschlaf zu sein, doch das war bei ihr nichts Neues. Angeblich neigte sie zu Wutausbrüchen, was Lysira jedoch nur schwer glauben konnte.
»Ihr alle wisst, dass die abtrünnige Maristara vor vielen hundert Jahren das Königreich Seth eingenommen hat«, erinnerte Anora die anderen gerade. »In Menschengestalt hat sie heimlich über die Menschen geherrscht und zusammen mit ihrem Gefährten Grald, einem Drachen niederer Herkunft, versucht, Menschen zu züchten, in deren Adern Drachenblut fließt. Ihr wisst auch, dass dabei
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