Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
jeder Bewegung erschreckend ins Schaukeln – und küsste ihn auf den Mund. Langsam glitt ihre Zunge über seine Lippen und wurde damit belohnt, dass seine Lippen ganz leicht reagierten.
Evelina seufzte und setzte sich wieder hin. Ihr Blut prickelte. Nachdem sie die Decke wieder um sich gezogen hatte, überließ sie sich quälend sinnlichen Träumen von der Liebe. Schließlich aber wurde auch das langweilig. Wieder und wieder gähnte sie. Die Augen fielen ihr zu. Sie nickte ein und schrak wieder hoch.
»Ich habe versprochen, Wache zu halten«, mahnte sie sich selbst. »Aber ich bin so müde. Es kommt auch keiner. Wir sind hier sicher. Es ist sowieso unfair, dass er schlafen darf und ich nicht. Ich mache einfach mal kurz die Augen zu.«
Frei von jeder Schuld schloss Evelina die Augen und versank in süßem Schlaf.
So fand sie der Drache.
Zum Glück war der Drache Lysira.
Drakonas hatte Lysira genau beschrieben, wo Drachenburg zu finden war. Sie konnte nichts erkennen, obwohl sie intensiv Ausschau hielt. Allerdings sah sie die Boote der Mönche flussabwärts treiben, was auf eine menschliche Siedlung hindeutete. Er hatte sie gewarnt, nicht zu tief zu fliegen, doch diese Warnung ignorierte sie. Sie musste tief fliegen, um sich näher umzusehen. Die Menschen, die sie suchte, saßen in keinem der Boote flussabwärts. Drakonas vermutete, dass sie die Gegenrichtung nahmen, und damit behielt er Recht.
Lysira entdeckte die beiden durch eine Lücke im Blattwerk. Ihre warmen Menschenkörper waren leicht zu erkennen.
»Deine Menschen sind nicht besonders intelligent«, teilte sie Drakonas mit. »Von Feinden umgeben – und sie schlafen tief und fest.«
»Sie sind umzingelt?« Drakonas erschrak.
»Nein«, antwortete Lysira. »Aber nach allem, was du gesagt hast, wäre es möglich.«
»Irgendeine Spur von anderen Drachen?«
»Nichts.«
»Grald könnte trotzdem in der Höhle auf sie warten«, sagte Drakonas mehr zu sich selbst gewandt als zu ihr. »Hältst du genügend Abstand?«
»Ja, Drakonas.« Der Ärger verlieh ihren Farben scharfe Ränder. »Ich bin nicht erst gestern aus dem Ei geschlüpft.«
In Wahrheit hatte Lysira beschlossen, ihrer Neugier bezüglich dieser Menschen nachzugeben. Mit Hilfe einer einfachen Illusion, die sie unsichtbar machte, schraubte sie sich in langsamen, trägen Kreisen aus der Höhe herab. Auf ihren starken Flügeln schwebend hielt sie dabei Ausschau nach Feinden, sah aber nichts Besorgniserregendes. Tiere zogen durch den Wald, Vögel flitzten durch die Luft. Da sie unsichtbar war, setzte der Fuchs seine Kaninchenjagd und der Ziegenmelker sein Fliegenfangen fort, ohne aufzuschrecken.
Lysira verharrte dicht über den Baumwipfeln. Von dort aus betrachtete sie neugierig die beiden Wesen im Boot.
Im Schlaf wirkten alle Menschen so unschuldig wie junge Drachen im Nest. Sie waren so verletzlich. Der weiche, schutzlose Körper, ein weicher Mund mit kleinen Zähnchen und Nägel wie schwache, kleine Klauen. Keine Flügel, die sie im Notfall retten konnten. Kein Feuer im Bauch, mit dem sie ihre Feinde verjagten.
Es war ein Wunder, dass sie so lange überlebt hatten. Lysira verstand, warum die Menschen sich auf schreckliche Maschinen verlassen mussten. So schwach. So jämmerlich schwach.
»Und wenn Grald sie in der Höhle erwartet, Drakonas?«, fragte Lysira. »Was mache ich dann?«
»Nichts. Du kannst nicht gegen Grald antreten. Das wäre Wahnsinn. Er hätte mich einmal im Kampf beinahe erledigt«, mahnte Drakonas scharf. »Du hättest keine Chance.«
»Und deine Menschen? Welche Chance haben sie?«, hielt Lysira dagegen.
»Unterschätze sie nicht. Aber ganz gleich, was geschieht, du hältst dich da raus. Nicht nur um deinetwillen, sondern um unseres Volkes willen. Du bist im Moment meine einzige Verbindung zu den anderen Drachen. Wir müssen unsere Beteiligung geheim halten. Versprich mir, dass du dich nicht einmischst, wenn es Ärger gibt. Versprich es!«
»Ich glaube kaum, dass du das Recht hast, mir ein Versprechen abzuverlangen«, wehrte sich Lysira pikiert.
»Das stimmt«, gab Drakonas zu. »Höchstens das Recht dessen, dem du nicht gleichgültig bist. Ganz und gar nicht gleichgültig.«
Lysiras Farben verschwammen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Deshalb sagte sie lieber gar nichts. Als ihr wieder etwas einfiel, war er fort.
Hingerissen brauste Lysira in den Abendhimmel hinauf. In diesem Augenblick hätte sie vor lauter Glück auch gegen Grald oder gegen hundert Gralds
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