Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
Lysira.
8
Die Nacht spannte sich dunkel über den Fluss. Unter Markus glitt das Wasser vorbei. Der Fluss strömte ewig weiter, ohne sich um die Turbulenzen der Gegenwart zu scheren. Der Prinz lenkte das Boot an die Wasserhöhle heran. Seine wachsende Angst wurde auch von dem Umstand gespeist, dass er keine Ahnung hatte, wie weit es noch bis zur Höhle war.
Seine erste und einzige Reise auf diesem Fluss war ebenfalls bei Nacht gewesen. Damals hatte er allerdings kaum auf seine Umgebung geachtet. Er hatte sich nur darauf konzentriert, die Boote der Mönche weiter vorne im Blick zu behalten und den Fluss nach allem abzusuchen, woran man hätte hängen bleiben können. Die Zeit hatte er kaum wahrgenommen. Er wusste nicht, wie lange er und Bellona gebraucht hatten, um von der versunkenen Höhle nach Drachenburg zu gelangen. Waren es Minuten gewesen oder Stunden? Er versuchte, sich zu erinnern, aber sicher war er nicht.
Markus ruderte langsamer. Er hatte den Eindruck, dass die Luft sich verändert hatte. Sie roch anders, nicht nach grünen, wachsenden Dingen, sondern nach nassem Fels und Algen wie damals in der Höhle. Auch die Temperatur veränderte sich. Ein kalter, dumpfer Hauch schien aus einem klaffenden Maul zu fließen.
Evelina merkte es auch, denn sie begann, nach einer der Decken zu kramen, die sie eilig mitgenommen hatte. Dann zog sie sich die Decke Schutz suchend um die Schultern.
»Was für ein fürchterlicher Gestank«, klagte sie. »Es riecht nach Tod.«
Markus ruderte aufs Ufer zu.
»Halt den Ast dort fest«, wies er Evelina an.
»Machen wir Rast?«, fragte sie eifrig, während sie sich gerade eben so weit aus der Decke wand, dass sie seinem Geheiß Folge leisten konnte. Sie packte den Ast, worauf sich das Boot drehte und in ein düsteres Gewirr aus Schilf, Binsen und Weidenzweigen glitt.
»Nur kurz«, antwortete Markus. »Ich will erst lange nach Mitternacht in die Höhle rudern.«
Evelina gab einen Schreckenslaut von sich. »Als wäre nicht schon alles schrecklich genug! Du machst es den Mönchen wirklich leicht, uns zu erwischen.«
»Still jetzt«, warnte Markus. »Ich will nicht, dass man uns bemerkt. Ich habe nämlich keineswegs Interesse daran, dass uns jemand erwischt.«
Er wollte seine Magie einsetzen, um das Boot vor allen Blicken zu verbergen. Eine Illusion sollte jedem, der zum Boot schaute, vorgaukeln, er sähe nur fließendes, dunkles Wasser. Drakonas hatte ihn einst gewarnt, dass solche Illusionen normalerweise scheitern. Einer niest immer. Doch Markus fiel nichts anderes ein, um den Mönchen zu entgehen, falls diese in der Höhle waren.
Er holte die Ruder ein und band das Boot gut fest. Es schaukelte leicht im Wasser. Dann nahm Markus eine Decke und spielte ein wenig damit herum, während er überlegte, was er nun zu tun hatte.
»Ich bitte dich nur sehr ungern darum …«, setzte er an.
»Frag ruhig«, bot Evelina an. »Bitte. Ich bin zu allem bereit.«
Er fasste sie ins Auge. »Ich will uns und das Boot mit meiner Magie unsichtbar machen.«
Danach ließ er ihr Zeit zu reagieren. Evelina sah ihn unverwandt an.
»Ja«, nickte sie. »Sprich weiter.«
»Du fürchtest dich nicht vor der Magie?«, vergewisserte er sich zögernd.
»Nein, natürlich nicht«, versicherte sie ihm. »Warum sollte ich mich vor dir fürchten?«
Ihm wurde warm ums Herz. Sie scheute nicht zurück. Keine Rede von »Teufelswerk«, nur ruhiges Akzeptieren.
»Ich bin sehr müde, aber ich muss stark und ausgeruht sein, wenn ich die Magie benutzen will.«
»Du brauchst deinen Schlaf. Natürlich«, sagte Evelina. »Dann schlaf einfach. Ich halte Wache.«
»Es macht dir nichts aus?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte mehr tun.«
Markus rückte näher an das Mädchen heran und küsste sie leicht auf die Wange.
»Danke«, lächelte er.
Errötend schlug sie die Augen nieder. Markus machte es sich im Boot einigermaßen bequem. Evelina gab sich große Mühe, ihm eine Decke als Kopfkissen zusammenzurollen und eine halbwegs annehmbare Schlafposition für ihn zu finden. Schließlich schloss Markus die Augen und überließ sich dem Wiegen des Bootes.
Bald senkte sich die Verwirrung über ihn, die man empfindet, wenn man sich langsam dem Schlaf überlässt. Er ruderte wieder, dann hatte er keine Ruder mehr, ruderte aber immer noch, und das Boot glitt in die Finsternis …
Evelina legte eine Hand an die Wange. Noch immer spürte sie Markus' Kuss. Sie fühlte sich versengt wie von einem
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