Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
machte sich dann davon.
Die Drachenfrau kam ihm nach. »Hör mir zu, Mensch! Komm zu dir. Drakonas schickt mich. Ich soll dich warnen.«
»Drakonas!«, rief Markus. »Wo bist du, alter Furz? Lebst du noch? Hätte ich mir ja denken können. Ich bin übrigens entwischt. Aber nicht durch deine Hilfe.«
Lachend stolperte er in einen flirrenden, gleißenden Nebel.
Dann riss der Nebel auf, weil eine Drachenklaue ihn teilte.
Die Augen, die ihn in der Höhle gefunden hatten, entdeckten ihn erneut.
Markus war in Gralds Gedanken geraten.
Hier gab es keine hübschen Farben. Stahlblaue Stäbe fuhren um Markus herab. Er saß in der Falle. Er versuchte, Gralds Geist zu entkommen, aber der Drache hielt ihn fest.
»So lange du hier bist, Prinz Markus«, sagte der Drache, »kannst du sehen, was ich sehe, und fühlen, was ich fühle. Wenn du deinem Bruder das nächste Mal begegnest, wirst du mir begegnen.«
Nem stand in einem dunklen Raum. Hinter ihm befand sich ein Sarg – sein Sarg. Markus konnte Nems Herz schlagen hören. Für den Drachen war das ein aufregendes Geräusch, denn dieses klopfende Herz war der Schlüssel zu dem Zauberspruch, der ihm gestatten würde, Nems Körper zu übernehmen und für sich zu beanspruchen.
Grald öffnete den Sarkophag. Darin lag der Mensch Grald, dessen Gesicht vor Entsetzen verzerrt war. Sein Mund war zu qualvollen Schreien aufgerissen, die seit langem ungehört waren. In der Hand hielt der Drache ein goldenes Medaillon. Jetzt öffnete er den Verschluss dieses Medaillons und ließ das Herz in die blutige Höhle der offenen Menschenbrust zurückfallen. Der Mensch stieß einen letzten, erschauernden Schrei aus und starb. Übrig blieb sein Leichnam mit den weit offenen Augen und dem noch immer offenen Mund.
Grald streifte die Hülle, die er getragen hatte, ab und ließ sie auf dem Boden liegen wie eine Schlange die zu eng gewordene Haut. Dann näherte sich der Drache dem neuen Körper, den er für sich gewählt hatte.
»Kämpfe!«, schrie Markus. »Du musst kämpfen!«
Nem wandte sich zur Flucht, aber der Drache hielt ihn fest.
»Kämpfe, Nem!«, rief Markus wieder. »Steh auf und kämpfe! Die Magie! Nimm die Magie!«
Nem wehrte sich tapfer, aber er hatte nie gelernt, die Magie einzusetzen. Dem Drachen war er nicht gewachsen. Grald grub seine Krallen in Nems Brust. Er durchtrennte Haut, Fleisch und Gewebe, brach ihm die Rippen. Der Schmerz ließ Nem aufschreien. Markus zitterte. Verzweifelt versuchte er, die Gitter des Drachen aufzubrechen. Doch der Drache zwang ihn, alles mit anzusehen.
»Du wolltest unsere Träume sehen«, sagte Grald. »Jetzt siehst du sie.«
Eine Klauenhand schleuderte Nems gebrochene Rippen zur Seite, während dieser sich unter Todesqualen in den Fängen des Drachen wand. Der Drache umgab sein Opfer mit magischen Strängen, die sein Leben an das des Drachen und das Leben des Drachen an Nems banden. Dann packte er das schlagende Herz und riss es Nem aus der Brust. Ihm blieb nur ein klaffendes, blutiges Loch in einem zerfetzten Brustkorb.
Grald hielt das Herz in der Hand und unterwarf es seinem Willen. Bald begann es zu schrumpfen, bis es nur noch so groß wie das einer Puppe oder eines Vogels war. Sorgfältig verstaute Grald das Herz in dem Medaillon, das an einer goldenen Kette von einer seiner Krallen herunterhing.
Dann trug er Nems Körper in den Sarkophag und warf ihn in das finstere Loch. Er hob den schweren Deckel an und schob ihn an seinen Platz zurück, um Nem im Grab einzuschließen, wo ihn der Zauber an ein entsetzliches Leben band.
Das Letzte, was Markus sah, war das Gesicht seines Bruders, als dieser erkannte, dass er bis zu seinem Tod unter endlosen Qualen in der Finsternis gefangen sein würde. Und dieser Tod würde erst eintreten, wenn der Körper, den der Drache übernommen hatte, so alt geworden war, dass er für diesen nicht mehr nützlich war.
Grald wandte sich Markus zu. Der Drache öffnete das Medaillon in seinen Klauen.
»Hier kommt ein Traum für dich, kleiner Prinz.«
Eine Menschenarmee in Rüstungen, die wie Drachenschuppen im Sonnenschein glitzerten, marschierte im Triumphzug durch die Tore von seines Vaters Schloss.
An der Spitze der Armee lief Nem.
Schlitzaugen funkelten Markus an. Zwei Kiefer öffneten sich weit. Von den scharfen Reißzähnen tropfte der Geifer herab, und blutige Klauen krümmten sich über ihm. Ein dicker Schwanz peitschte umher.
Markus griff zum Schwert, aber … er hatte keines. Er war nackt und wehrlos,
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