Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
verwenden.«
»Kann ich nicht«, begehrte Nem auf.
»Kannst du doch«, beharrte Grald. Die tief liegenden Augen lachten den jungen Mann aus. Grald köderte Nem, was diesen weiter aus dem Konzept brachte. »Du willst es nur nicht. Aber das wird sich noch ändern.«
»Ich begreife nicht, wieso wir die Zukunft der Drachen sein sollen«, fuhr Nem fort, ohne den Köder zu schlucken. »Die Drachen müssen von uns Halbdrachen doch ebenso abgestoßen sein wie die Menschen. Vielleicht noch mehr.«
»Manche reagieren so«, räumte Grald ein. »Aber auch sie werden bald erkennen, wie logisch eure Erschaffung war. Wenn ihr erst über die Menschen herrscht, werdet ihr dafür sorgen, dass wir eine sichere Zukunft haben. Die einfachen Menschen werden dich und deinesgleichen anbeten und vor uns in Ehrfurcht versinken. Sie werden den Gott vergessen, den sie sich ausgedacht haben, einen Gott, den sie nicht sehen können, und sie werden sich den Drachen zuwenden.«
»Also werden die Drachen die wahren Herrscher sein, nicht wir?«
Grald tat diese Bemerkung mit einer Handbewegung ab. »Nur was die ganz großen Fragen angeht. Der Alltag dieser Maden ist uns Drachen gleichgültig. Da können wir uns jahrelang heraushalten. So lange die Menschen harmlos bleiben. Und dafür werden die Drachenkinder sorgen.«
»Aha. Die Unterwerfung der Menschheit beginnt mit dem Reich meines Bruders.«
»Und du wirst die Armee gegen ihn anführen«, nickte Grald.
»Werde ich das?« Nem lachte ungläubig auf. »Ich will daran keinen Anteil haben.«
»Ich weiß.« Grald seufzte tief. Seine Stimme war voller Trauer und Bedauern. »Ich weiß.«
»Drakonas hat dir keinen Gefallen getan, als er dich vor mir versteckt hat«, fuhr Grald fort. »Er hätte dich mir überlassen sollen, damit ich dich so aufziehe wie die anderen, voll Stolz auf das, was du bist. Dann wäre ich vielleicht nicht gezwungen gewesen …«
Grald hob die schweren Schultern und ließ sie wieder sinken. »Ich hätte dir trauen können. Aber nun ist dein Denken verdorben. Du rebellierst gegen mich. Du stellst dich gegen deine eigene Familie.«
Nem war immer unbehaglicher zumute. Er war allein mit einem Drachen, der selbst in Menschengestalt ein gefährlicher Gegner war.
»Niemand wird dir helfen, Nem«, fuhr Grald leise fort, als würde er die Gedanken seines Sohnes lesen. »Drakonas hat eigene Probleme. Und dein kostbarer, magiekundiger Bruder ist auch nicht da. Nem. Nemesis. Ja, ich weiß. Ich weiß es schon lange. Du hättest mich längst umbringen sollen. Vielleicht kannst du es immer noch, wenn du mich überraschst, mich in einem Augenblick der Unachtsamkeit erwischst. Die Angst hält dich zurück. Die Angst ist Teil deines Menschenerbes. Wenn ich dich aufgezogen hätte, würdest du keine Angst kennen. So jedoch werde ich hart daran arbeiten müssen, diese Schwäche auszumerzen, wenn …«
Er sprach nicht weiter.
»Wenn was?« Nem bekam kaum noch Luft. Seine Brust hatte sich zusammengeschnürt, der Mund war trocken und die Kehle eng, Grald hatte Recht. Das Gift der Angst strömte durch Nems Adern und schwächte ihn.
»Sieh hinter mich«, forderte Grald ihn auf. »Durchschau die Illusion. Andere können das nicht, aber deine Augen können den magischen Schleier durchdringen, nicht wahr, Drachensohn? So wie sie die Mauer durchdringen konnten, damit du deinem Bruder zur Flucht verhelfen konntest. Für dich wird es kein solches Entrinnen geben.«
Nem sah ein Grab. Er brauchte nicht erst vom Drachen zu hören, wessen Grab das war. Erinnerungen wurden in ihm wach, unklar und erschreckend zugleich. Bellona hatte ihm von seiner Mutter erzählt, von einem Grab und einem blutenden Körper, der in der Finsternis endlose Qualen litt …
Er bäumte sich auf. Seine Drachenbeine waren stark. Er konnte Grald leicht entkommen. Sofort grub Nem seine Klauen in den Boden und schnellte mit seinen mächtigen Schenkeln quer durch die riesige Halle auf die Tür zu.
Dem riesigen Menschen konnte er entkommen. Dem Drachen jedoch nicht.
Noch während Grald Nems Aufmerksamkeit auf das Grab gelenkt hatte, hatte er begonnen, seinen Menschenkörper abzustreifen. Die kurzen Menschenarme mit dem weichen, schlabberigen Fleisch und den Stummelfingern wurden länger, bis sie stark und kraftvoll waren. Harte Schuppen flossen wie glänzendes Quecksilber über das Fleisch, um es zu schützen. Scharfe Krallen ersetzten harmlose Nägel. Die Klauenhand des Drachen griff zu, packte Nems Fuß und riss ihm das Bein
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