Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
legen. Die Verwendung des Wortes Hegemonie verblüffte die amerikanischen Übersetzer. Sie konnten die Bedeutung dieses Wortes nicht angemessen wiedergeben. Dieses Konzept war ihnen buchs täblich unbekannt.« Der Generalsekretär zeigte auf die Gr uft. »Damals sagte Mao: China ist aufgestanden. Er machte der Welt klar, dass keine äußere Macht uns je wieder kontrollieren würde. Ich fürchte allerdings, dass damals keiner zugehört hat.«
»Man hat uns immer missachtet«, meinte Ni. »Man hat uns für rückständig und unmodern gehalten. Und schlimmer noch, für repressiv und diktatorisch.«
»Das ist unsere eigene Schuld. Wir haben nie viel getan, um dieser Wahrnehmung entgegenzutreten. Tatsächlich scheinen wir es zu genießen, in einem negativen Licht zu erscheinen.«
Ni war erstaunt. »Warum sind Sie so zynisch?«
»Ich sage einfach nur die Wahrheit – und das wissen Sie vermutlich selbst. Demokratie ist der Untergang der Hegemonie. Die Macht zwischen gewählten Amtsträgern aufzuteilen, statt sie in den Händen eines einzigen Herrschers zu konzentrieren, das Volk stark zu machen, statt es zu unterjochen – diese Ideen entziehen sich unserem Verständnis.«
»Aber so kann es nicht bleiben.«
Ich erinnere mich an die 1950er, als Mao auf dem Gipfel seiner Macht stand. Landkarten wurden gezeichnet, die unsere Grenzen weit nach Norden, Süden und Westen verschoben, hinein in Gebiete, die wir damals gar nicht kontrollierten. Diese Landkarten wurden an Amtsträger verteilt, um sie zu motivieren, in solchen übersteigerten Begriffen zu denken. Und es hat funktioniert. Schließlich haben wir in Korea interveniert, sind nach Tibet einmarschiert, haben Quemoy bombardiert, Indien angegriffen und Vietnam beigestanden, alles mit der Absicht, diese Länder zu dominieren.« Der Generalsekretär hielt inne. »Heute verbleibt nur noch Tibet unter unserer Kontrolle, doch unsere Macht dort ist bedroht und beruht allein auf Gewalt.«
Ni erinnerte sich an das, was Pau gesagt hatte. »Wollen Sie damit behaupten, dass wir keinen Nationalstolz besitzen sollten, weder damals noch heute?«
»Anscheinend ist Stolz das Einzige, was wir besitzen. Wir sind die älteste Kultur der Welt, aber schauen Sie uns doch einmal an. Außer einer Vielzahl unüberwindlicher Probleme haben wir für unsere Anstrengungen wenig vorzuweisen. Ich fürchte, die Ausrichtung der Olympischen Spiele hatte eine ähnliche Wirkung wie damals diese Landkarten. Das hat die Ehrgeizigen in der Regierung nur auf dumme Gedanken gebracht.« Zum ersten Mal lag Verärgerung in der Stimme des Generalsekretärs, und seine Augen blitzten vor Zorn. »Wir vergessen auch die Kränkungen nicht, die schon Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte zurückliegen. Beim kleinsten Vorwand werden wir sie rächen, wie unbedeutend sie auch gewesen sein mögen. Das ist lächerlich, und dieser Unfug wird unser Untergang sein.«
»Nicht alle von uns denken so«, meinte Ni.
Der Generalsekretär nickte. »Ich weiß. Nur alte Männer. Aber es gibt noch immer viele von uns, und außerdem junge Männer, die bereit sind, unsere Ängste auszunutzen.«
Ni wusste genau, auf wen sich dieser Kommentar bezog.
»Mao liegt hier, damit wir ihn verehren«, sagte der Generalsekretär. »Die Wachsfigur eines gescheiterten Führers. Eine Illusion. Und doch wird er noch immer von anderthalb Milliarden Chinesen zutiefst bewundert.«
»Nicht von mir.« Ni fühlte sich zu dieser Erklärung berechtigt.
»Fangen Sie auch nie damit an.«
Ni erwiderte nichts.
»Männer wie Karl Tang sind eine Gefahr für uns alle«, sagte der Generalsekretär. »Sie werden für die gewaltsame Wiedereingliederung Taiwans eintreten und dann die gesamte Region um das Südchinesische Meer beanspruchen. Sie werden Vietnam, Laos, Thailand, Kambodscha, Myanmar und sogar Korea für uns haben wollen. Unsere wiedergefundene einstige Größe.«
Zum ersten Mal wurde Ni die Bedeutung des bevorstehenden Kampfes bewusst. Er sagte: »Und im Verlauf dieses Unterfangens wird man uns zerstören. Die Welt wird nicht untätig zusehen, wie all dies geschieht.«
»Ich habe Ordnung gehalten«, sagte der Generalsekretär. »Ich wusste, dass ich nichts verändern, sondern nur das Bestehende bewahren konnte, bis mein Nachfolger ins Amt käme. Dieser Mann wäre in einer besseren Position, um einen Wandel durchzusetzen. Sind Sie bereit, Herr Minister, dieser Mann zu sein?«
Hätte man ihm vor drei Tagen dieselbe Frage gestellt, hätte er seine
Weitere Kostenlose Bücher