Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
unbewiesenen Theorie?«
»Und deshalb reden sie auch öffentlich wenig darüber.«
Und deswegen waren sie auch so an Sokolov interessiert, überlegte Tang. Mit Sicherheit wollten sie ihren ehemaligen Landsmann zurückhaben. Vielleicht wollten sie ihn sogar dauerhaft zum Schweigen bringen. Zum Glück hatte Viktor Tomas ihn über alles unterrichtet, was die Russen taten. Doch er erwähnte deren Ränke nicht und sagte stattdessen: »Und deshalb halten die Russen auch den Mythos aufrecht, dass Erdöl ein knappes Gut sei?«
»Da sie wissen, dass Erdöl unbegrenzt vorhanden ist, sehen sie amüsiert zu, wie der Rest der Welt zu viel dafür bezahlt.«
»Aber da sie keinen Beweis haben, dass ihre Annahme stimmt, gehen sie ebenfalls behutsam mit ihren Vorräten um.«
»Was verständlich ist. Den Russen fehlt das, was Sie haben. Eine bewiesenermaßen echte Probe aus einer Lagerstätte, wo schon unsere Vorfahren Öl gefördert haben. Nur die Chinesen können eine solche Probe besitzen.« Nun lag Abscheu in seiner Stimme. »Dies hier ist der einzige Ort der Erde, wo die Menschen schon vor zweitausend Jahren nach Erdöl bohrten.«
Stolz stieg in Tang auf.
Sokolov zeigte auf den Tisch. »Wenn sich in dieser Probe Diamantoide finden, ist das Öl abiotisch. Dann brauchen Sie zum Vergleich nur noch eine andere Probe, die vor sehr langer Zeit aus demselben Ölfeld entnommen wurde. Die Theorie ist bewiesen, wenn jene Probe keine Diamantoide enthält und sich damit als biotisch erweist.«
Tang gefiel die Einfachheit der Gleichung. Erst war das biotische Öl dagewesen. Man hatte danach gebohrt und es gefördert. Dann war abiotisches Öl nachgesickert. Gansu mochte der einzige Ort der Welt sein, wo ein solcher Vergleich möglich war. Alle erhaltenen historischen Berichte machten deutlich, dass die ersten Ölförderer vor mehr als zweitausend Jahren ausschließlich im Umkreis der Lagerstätte von Gansu gebohrt hatten. Eine Ölprobe, die aus dieser Zeit stammte und bis heute erhalten geblieben war, musste aus dem dortigen Untergrund stammen.
Alles, was er brauchte, war eine als echt bestätigte Probe dieses Öls.
»Sie sagten mir, die Lampe sei verschwunden«, bemerkte Sokolov. »Zusammen mit dem Öl. Wo kommt dann aber die Vergleichsprobe her?«
»Keine Sorge, Genosse. Ich habe mir diese Probe gesichert, und sie wird bald zu Ihrer Verfügung stehen.«
45
Peking
Ni begriff, dass der Parteigeneralsekretär sich bewusst hintergründig äußerte, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Bisher hatte immer ein Schreibtisch zwischen ihnen gestanden, und seine Untersuchungsberichte waren mit wenig Interesse praktisch kommentarlos entgegengenommen worden. Aber dieses Gespräch war anders.
»Ich erinnere mich an eine Zeit, als alle Busfenster mit Maozitaten und Maobildern beklebt waren«, erzählte der alte Mann. »Genauso war es mit den Schaufenstern der Läden. Die Radios sendeten nur Revolutionsmusik, Maos Gedanken oder Staatsnachrichten. In den Kinos liefen nur Filme, die zeigten, wie Mao die Roten Garden begrüßte. Selbst die Oper und das Ballett führten nur Revolutionswerke auf. Wir trugen alle unsere Mao-Bibel mit uns herum, da man nie wissen konnte, wann man aufgefordert werden würde, einen Abschnitt daraus zu zitieren.«
Die Stimme des Generalsekretärs war leise und rau, als wären seine Erinnerungen sehr schmerzhaft.
»Diene dem Volk. So lautete Maos Botschaft. In Wirklichkei t dienten wir alle einfach nur ihm selbst. Dieses Gebäude hier ist der Beweis, dass sich das bis heute nicht geändert hat .«
Nun begriff Ni allmählich, warum sie hier waren.
»Das Streben nach Hegemonie ist unsere Schwäche«, erklärte der Generalsekretär. »Diese mangelnde Bereitschaft, mit irgendeiner ausländischen Macht zusammenzuarbeiten, selbst wenn es keine Bedrohung gibt. Das Hegemonialstreben ist der natürliche Ausdruck unseres Totalitarismus, so wie friedliche Beziehungen der Ausdruck der Demokratie sind. Wir haben uns immer für den geografischen und geopolitischen Mittelpunkt der Welt gehalten. Jahrhundertelang und vor allem seit 1949 war das einzige Ziel unserer Außenpolitik, erst unsere Nachbarn und dann irgendwann den Rest der Welt zu dominieren.«
»Das übersteigt unsere Fähigkeiten doch bei weitem.«
»Sie und ich wissen das, aber weiß es auch der Rest der Welt? Ich erinnere mich, wie Kissinger 1971 in einer Geheimmission kam, um den Grundstein für erneuerte Kontakte zwischen den Vereinigten Staaten und China zu
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