Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Richtung, ohne dass sie die Schrift sehen konnte.
»Ich hab da ein Anrufprotokoll von der Telefongesellschaft. Sie haben ihn anzurufen versucht. Mehrmals. Haben ihn nicht erreicht.«
Zum ersten Mal wirkte sie verletzlich.
»Sieht aus, als hätten Sie sich Sorgen um ihn gemacht. Was Sie ja wohl nicht getan hätten, wenn Sie mit ihm im selben Zimmer gewesen wären.« Meyer schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich werde das jedenfalls überprüfen.«
Er ging zu ihr.
»Ich frage Sie jetzt zum letzten Mal. Sie haben die ganze Zeit gelogen, und ich bin bereit, darüber hinwegzusehen. Aber nicht ewig. Noch ein einziges Mal, und Sie sind Mittäterin. Und nicht mehr Zeugin.«
Er nickte zu ihrem Stuhl hin.
»Sie haben die Wahl.«
Sie rührte sich nicht.
»War Hartmann an dem Freitagabend bei Ihnen? Denken Sie nach.«
Sie ging zur Tür.
»Letzte Chance, Rie …«
Lund stand vor Hartmanns Haus. Die hohen Fenster im ersten Stock waren erleuchtet. Ein gepflegter Vorgarten. Hinten eine weite Rasenfläche, soviel man sah. Das Haus stand in einer gut beleuchteten Straße im Svanemøllevej, Nord Østerbro, in der Nähe der Botschaften. Eine Villa. Mindestens zehn Millionen Kronen wert. In der Politik konnte man richtig Geld verdienen.
Sie schlich durch den Garten, suchte nach Anzeichen irgendwelcher Aktivitäten. Etwas Vergrabenes. Etwas Frisches. Ging durch das hohe, dichte Gras, sah sich hinter dem Haus um. Von der alten Kellertür blätterte die weiße Farbe ab. Ein Laubhaufen davor, fast einen Meter hoch. Ewig nicht mehr benutzt. Im Erdgeschoss brannte eine einzelne Lampe. Es war ein Haus für eine Familie. Für eine ganze Dynastie. Aber nur eine Person wohnte darin: der traurige, gutaussehende Troels Hartmann. Sie ging ganz um das Haus herum, fand nichts. Passierte eine seitliche Gartentür, stand wieder an den steinernen Stufen, die zur Straße führten. Kein Laut von drinnen. Kein Fernseher. Keine Musik. Lund klingelte. Klingelte noch einmal und klopfte fünfmal laut an die Tür. Eine Frau machte auf. Ausländerin. Von den Philippinen vielleicht.
»Hallo. Sarah Lund. Polizei. Ist Troels Hartmann zu Hause?«
Und schon war sie drin.
Die Küche war modern, blitzsauber. Teurer Herd. Schicker Esstisch. Ohne ein Fleckchen. Eine Putzfrau, dachte Lund. Eine Pizza in einem Backofen mit durchsichtiger Tür. Lund stand in ihrem Regenmantel und dem weiß-schwarzen Pullover da, wiegte sich vor und zurück. Er konnte überall im Haus sein. Sie wartete, fasste sich in Geduld. Hartmann kam die Treppe herunter, blaues Hemd, Anzughose, trocknete sich die Haare. Sah sie offenen Mundes an. Warf das Handtuch auf den Tisch.
»Ich hab Ihre Fragen beantwortet, Lund. Ohne meine Anwältin sag ich nichts mehr.«
»Sie haben gesagt, Sie hätten in der Wohnung nicht telefoniert.«
Er schloss die Augen, schüttelte den Kopf.
»Hören Sie auch mal zu, wenn man Ihnen was sagt?«
»Immer. Sie haben gesagt, Sie hätten nicht telefoniert.«
Er sah nach der Pizza. Schlug sich an die Stirn.
»Okay. Nethe Stjernfeldt.«
»Sie hat es mir erzählt.«
»Das Gespräch hat vielleicht eine halbe Minute gedauert. Nicht länger. Ich hab ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich nicht mehr interessiert bin.«
Er zog Topfhandschuhe an, nahm die Pizza heraus, ließ sie auf einen Teller gleiten. Lund schaute zu. Ein Mann, der daran gewöhnt war, allein zu leben.
»Sie hat x-mal angerufen. Hat Nachrichten geschickt. Das wurde langsam nervig.«
»Sind Sie sich sicher?«
»Zum letzten Mal: Ja, ich bin mir sicher. Ich hab die verdammte Rede geschrieben. Ich hab zu viel getrunken. Und gegen halb elf bin ich zu Rie. Das sag ich doch die ganze Zeit. Ich kann mich nur wiederholen.«
Er öffnete die Hintertür.
»Ich muss jetzt was essen. Bitte.«
»Angenommen, jemand anderer hat Ihren Computer benutzt. Ihren Wagen. Ihre Wohnung. Wer könnte Ihr Passwort gekannt haben?«
»Das hab ich doch schon gesagt. Irgendjemand hat sich in unser Netzwerk eingeloggt.«
Die Haushälterin kam herein, nahm den Müllbehälter und sagte zu Hartmann, sie werde nächste Woche wiederkommen. Dann ging sie und schloss die Tür hinter sich.
»Ich möchte Ihnen helfen«, sagte Lund. Seine hellen Augenbrauen hoben sich. »Ehrlich.«
»Sprechen Sie mit Rie. Sie hat da was in unserem System gefunden. Jeder konnte an das Passwort ran. Ich verwende immer dasselbe, für alles. Rie hat eine Liste für Sie gemacht. Von Leuten, die Sie interessieren könnten.
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